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Kuba ist meine Kindheit - ein Interview mit Ludmila Cichon
"Ich trat in ein Haus ein, in dem mich viele Gegenstände sogleich an Kuba und Lateinamerika erinnerten: ein Schaukelstuhl, eine Palme, eine Hängematte und ein Papagei..." (Guillermo Horta, kubanischer Maler und Schauspieler)



Text: Elitsa Karaeneva
Übersetzung: Krasimira Plachetzky Fotos: Archiv Ludmila Cichon
Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift "Bulgaren in Österreich" Nr. 9 veröffentlicht.


Ludmila Chichon wurde in Bulgarien geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Kuba. In Sofia absolvierte sie das Studium der spanischen Philologie und promovierte später zum Doktor an der Hauptuniversität in Wien, wo sie seit zwanzig Jahren lebt und arbeitet. Heute ist sie Wissenschaftsassistentin für Spanisch an der Wirtschaftsuniversität und Lektorin an der Hauptuniversität in Wien. In ihrer Seidenmalerei vermittelt sie die Farbenpracht, Mythen und Lebensgefühle der Menschen in Zentralamerika sowie das Verflechten der alten Mayazivilisation mit der europäischen Kultur. In ihren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten vereinigt sie Linguistik, Soziologie und Literaturkritik aus drei verschiedenen Kulturregionen: Lateinamerika, Zentraleuropa und dem Balkan.


Lucy, Sie haben einen Großteil ihrer Kindheit in Kuba verbracht. Wie kamen Sie dorthin?

Der Grund, nach Kuba zu ziehen, war der Beruf meines Vaters. Als Fachmann auf dem Gebiet der Technischen Chemie bekam er in den 1970er Jahren eine Einladung, in Kuba zu arbeiten. Es wurde gerade ein Pharma-Konzern zur Herstellung von Antibiotika aufgebaut. Mein Vater sollte als Berater des kubanischen Gesundheitsministers fungieren. Also ging die ganze Familie mit.

Wie lang haben Sie dort gelebt?

Etwa sieben Jahre. Ich war damals zwölf. In Kuba habe ich das Gymnasium besucht und maturiert. Die letzten zwei Jahre besuchte ich das Gymnasium der russischen Botschaft. Ein Jahr konnte ich noch an der Universität in Havanna studieren, dann gingen wir nach Sofia zurück.

In welchem Teil Kubas haben Sie mit ihrer Familie gelebt?

Wir lebten in Nautico, einem sehr netten Stadtteil von Havanna mit Gartenhäusern und viel Grün. Unser Haus lag nur zwei Straßenkreuzungen vom Meer entfernt und war sehr schön: Es hatte einen kleinen Garten und eine große Veranda mit Schaukelstühlen - wie jedes kubanische Haus - darum habe ich auch jetzt zu Hause Schaukelstühle. Durch die Fenster blickte man auf Kokospalmen und Bananenstauden.

Was bedeutet Kuba für Sie?

Es sind wunderschöne Erinnerungen, die mich mit Kuba verbinden. Ich kenne die ganze Insel bis zum östlichsten Teil Kubas, Oriente, und die Stadt Santiago de Cuba. Als ich noch ein Kind war, fuhren wir sehr oft nach Matanzas und Varadero, zu den schönen Stränden. Ich traf mich mit Freunden in ihren Gärten oder auf Partys, zum Tanzen oder Schwimmen. Jedes Kind hatte einen kleinen Hund und einen eigenen Garten, wo wir spielten oder Fiestas organisierten. Damals fuhr ich auch zum ersten Mal nach Mexiko. Ich pflege immer noch innige Freundschaften in Kuba. Wir fahren auch noch zu Besuch dorthin.

Also, was die spanische Sprache betrifft, fühlen Sie sich wie ein Fisch im Wasser?

Eigentlich schon. In Kuba lernte ich Spanisch, als wäre es meine Muttersprache. Bulgarisch wurde nur zu Hause gesprochen. Meine Eltern wollten, dass wir Kinder Spanisch und Russisch lernen. Obwohl es eine bulgarische Ganztagsschule gab, besuchte ich sie nicht. Meine Mutter war dort Lehrerin, doch mich unterrichtete sie zu Hause. Sie ließ mich auch bulgarische Bücher lesen.

Welches Hochschulfach hatten Sie inskribiert?

An der Universität in Havanna inskribierte ich Anglistik. Nach einem Jahr, zurück in Sofia, entschied ich mich wiederum für Anglistik, diesmal jedoch als Nebenfach. Als Hauptfach habe ich spanische Philologie gewählt, denn Spanisch war meine stärkere Sprache und ich mochte sie auch mehr.

Welchen Beruf haben Sie in Bulgarien ausgeübt und wie kamen Sie nach Wien?

Nach dem Studienabschluss arbeitete ich als Dolmetscherin in diversen Botschaften - in der nikaraguanischen, argentinischen und der peruanischen. An der Universität lernte ich auch Portugiesisch; so konnte ich später portugiesische Diplomaten in Bulgarisch unterrichten. Ich war auch in der indischen Botschaft tätig, und zwar mit Englisch. 1987 kam ich mit meinem ersten Mann, Boitscho Damjanov, nach Österreich. Er ist Journalist und arbeitete damals als Auslandskorrespondent in Wien. Das war noch vor der politischen Wende in Bulgarien und die Ehepartner durften in keiner österreichischen Behörde arbeiten. Um die Zeit zu nutzen, entschied ich mich, zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon zwei Kinder: Mein kleiner Sohn war gerade ein Jahr alt.

Und Sie immatrikulierten ein Promotionsstudium an der Universität Wien?

Ja. 1989 begann ich ein Promotionsstudium an der Fakultät für Philosophie der Universität Wien. Das Forschungsthema hieß "Besonderheiten der Frauen- und MÄnnersprache in der lateinamerikanischen Literatur". Das ist keine literarische, sondern eine soziolinguistische Fragestellung: sie untersucht die Unterschiede der Sprachmittel, deren sich Männer bzw. Frauen bedienen. In meiner Doktorarbeit untersuchte ich anhand von vier Romanen die Stil- und Sprachmittel von je zwei Autorinnen und Autoren: der Chilenin Isabel Allende, der Kolumbianerin Marvel Moreno und - auch aus Kolumbien - Gabriel García Márquez und Plinio Mendoza. Da alle vier fast zur selben Zeit schrieben, ließ sich leichter ein Vergleich ziehen. Alle vier Werke haben Merkmale des literarischen Stils "Magischer Realismus". Ich untersuchte die verschiedenen Aspekte des Sprachstils: Ausdruckmittel, Metaphern, wie die AutorInnen Farbbenennungen verwenden und wie sie erotische Szenen beschrieben. Ich schrieb die Dissertation in Spanisch und promovierte 1993. Die Doktorarbeit ist in Buchform in Bulgarien und später in Buenos Aires, Argentinien erschienen.

Mit welchen wissenschaftlichen Fragestellungen haben Sie sich beschäftigt und an welchen arbeiten Sie jetzt?

Mehrere Jahre untersuchte ich die Unterschiede der Männer- und Frauensprache (Gender Studies). Viele meiner Aufsätze darüber, wie Frauen und Männer in Sprichwörtern dargestellt werden, wurden ver¨ffentlicht. Ich habe spanische, bulgarische, deutsche und russische Sprichwörter miteinander verglichen. Diese vier Sprachen beherrsche ich gut. Weiters untersuchte ich die Journalistensprache im Hinblick auf die Verwendung von manipulativen Elementen wie dem Einsatz von Metapher und Euphemismen (Sprachmittel zur Umgehung der Realität). In Guatemala z.B., wo die Gewalt sehr hoch ist, wird in den Medien nicht von Ermordeten, sondern von Verschwundenen oder Verschollenen berichtet, also unter Verwendung von Wörtern, die weniger schockieren. Eine Zeit lang beschäftigte ich mich dann mit der Frauenlyrik in Zentralamerika. Auf einem Kongress in Guatemala lernte ich neben einigen heimischen Dichterinnen Gioconda Belli, eine sehr berühmte nikaraguanische Schriftstellerin und Dichterin, sowie Consuelo Tomas, Journalistin und Dichterin aus Panama, kennen. Wegen ihrer außergewöhnlichen Poesie waren alle von großem Interesse für mich: die Guatemaltekinnen vertraten den Feminismus in ihrer Poesie, denn die Frauen in Guatemala haben längst nicht die gleichen Rechte, wie Männer. Obwohl das Gesetz Gleichheit vorsieht, werden Frauen in der Realität unterdrückt: von ihnen wird erwartet, dass sie die traditionelle Rolle - zu Hause mit den Kindern - erfüllen. Diese Frauen aber hatten einen Beruf, waren geschieden oder verwitwet. Sie kämpften und waren emanzipiert. Am meisten interessierte mich Consuelo Tomas. Ihre Gedichte sind unkonventionell: sie schreibt vom Totengräber, von Prostituierten und von der alten Jungfer. Dabei macht sie sich nicht lustig, sondern beschreibt die Figuren verständnisvoll, aber auch mit einem feinen Humor. Auch ihre erotischen Gedichte sind wundervoll. Nachdem ich dieses Thema für mich ausgeschöpft hatte, griff ich das nächste auf: Besonderheiten der Mehrsprachigkeit. Auf diese Idee brachte mich mein jetziger Mann Peter Cichon. Er ist Professor am Institut für Romanistik. Er hat sich lange mit der Fragen der Mehrsprachigkeit und dem Sprachbewusstsein in Frankreich und in der Schweiz beschäftigt. Ich selbst halte mich für mehrsprachig. Auch die Entwicklung meiner Kinder - Zwetelina und Petjo - war sehr interessant zu beobachten: sie wuchsen dreisprachig auf, lernten gleichzeitig Bulgarisch, Deutsch und Spanisch; Zwetelina schreibt sogar Gedichte in drei Sprachen. Ich untersuchte die Mehrsprachigkeit unter dem Aspekt der individuellen Mehrsprachigkeit: welche Auswirkungen sie hat, Vor- und Nachteile und Emotionen. Denn neben ihrer Funktion als Kommunikationsmittel ist die Sprache mit unseren Emotionen und Gefühlen verbunden. Später, in Lateinamerika, forschte ich wieder auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeit, diesmal zur staatlichen Sprachpolitik mit Blick auf die Wirtschaft. Das Thema hieß "Der Einfluss der Tourismusentwicklung auf die Aufrechterhaltung bzw. auf das Aussterben der Indigenersprachen in Mexiko und Guatemala". Für dieses Projekt bekam ich ein gut dotiertes Stipendium der Österreichischen Nationalbank. Das ermöglichte mir innerhalb von vier Monaten, beide Länder zu bereisen. So konnte ich zweisprachige Indigenen befragen, die in Tourismusgebieten arbeiteten. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf die Mayasprachen. Die Maya-Frauen und Männer, die ich kennen lernte, schickten mich zu weiteren Mayas. So reiste ich von einem Markt zum anderen und von einem Dorf zum nächsten. Sehr wenige von ihnen hatten einen Hochschulabschluss. Das ist schwer erreichbar, wenn man spanisch nicht ausreichend beherrscht und materiell nicht abgesichert ist. Außerdem ist die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung in diesen Ländern immer noch sehr hoch. Es war mir nicht wichtig, wie viele Menschen eine bestimmte Sprache sprechen, sondern ob es starke Tendenzen für ein Aussterben dieser Sprachen gibt, ob die staatliche Politik die Aufrechterhaltung der Sprachen unterstützt, ob sie in den Medien gesprochen werden und ob sie auch unterrichtet werden. Seit einigen Jahren versucht man in Mexiko und Guatemala, die bedrohten Sprachen zu retten. Bei manchen ist das Aussterben der Sprache so weit fortgeschritten, dass ihre Aufrechterhaltung nicht mehr möglich ist. Im Jahr 1997, habe ich von meiner Universität ein Stipendium für die Fortsetzung des Projektes erhalten.

Wann haben Sie zu malen begonnen?

Während der Indianer-Befragungen, 1996-97, lernte ich viele Aspekte der Kultur der Indianervölker kennen. Mann muss mit den Traditionen, der Geschichte und der Weltanschauung der Menschen vertraut sein, um über sie schreiben zu können. Ich habe viele Bücher darüber gelesen und arbeitete sehr gerne daran. Und so begann ich zu malen. Eigentlich konnte ich schon immer malen, schon als Kind verspürte ich den Drang dazu. Die Indianer haben sehr farbenkräftige Trachten (Huipil und Telar) und ich war so beeindruckt von den pittoresken Märkten, von den bunt angezogenen Männern und Frauen, dass ich zu malen begann. Auch die Erinnerungen an Kuba haben mich dazu veranlasst. Ich begann mit Seidenmalerei. Dann versuchte ich es kurz mit Acrylmalerei, aber es waren nicht diese leuchtenden Farben, die man in der Karibik und in Zentralamerika sowohl in der Natur, als auch in der Bekleidung sehen kann. Dort scheint die Sonne heller; die Emotionen sind stark, die Menschen leidenschaftlich und die Farben prächtig. Das alles lässt sich nicht in Pastellfarbtönen wiedergeben. Die erste Ausstellung war 1996 in Wien und bis jetzt waren sie über zehn. Ein Teil meiner Bilder haben die Natur zum Inhalt, andere stellen Motive aus der Mythologie der Maya dar. Alle Bilder sind inspiriert von Büchern, Erinnerungen, Fantasien oder Fotoaufnahmen.

Erzählen Sie mir etwas über Ihre Spanisch-Vorlesungen an der Wirtschaftsuniversität. Welche Erfahrungen haben Sie mit den Studenten gemacht.

Im Jahr 1992, vor meiner Promotion, begann ich als Spanisch-Assistentin an der Wirtschaftsuniversität Wien zu arbeiten. Seit etwa fünf Jahren bin ich auch an der Fakultät für Romanistik der Universität Wien als Lektorin beschäftigt. Hauptsächlich unterrichte ich spanische Wirtschaftsterminologie. Der Beginn meiner Lehrtätigkeit war für mich sehr schwierig: Ich bin Philologin von Beruf und war mit der Wirtschaftsterminologie nicht so vertraut. Nur Sprachkenntnisse zu haben, reicht nicht aus, man muss auch über Fachkenntnisse verfügen, um über Wirtschaftsthemen diskutieren zu können. Die Sprache transportiert Inhalte, man kann nur über das sprechen, was man versteht. Vorher hatte ich nur oberflächliche Kenntnisse über Fragen wie Inflationsgründe, Börsen, Bruttoinlandsprodukt, Finanzierung etc. Die Studenten vertrauen ihren LehrerInnen und erwarten, dass er oder sie in allen Fragen kompetent ist. Deswegen musste ich mich auch in diese Richtung weiterbilden. In den Vorlesungen nehme ich mir immer Zeit, etwas Lustiges zu erzählen und Erfahrungen aus Lateinamerika mitzuteilen. Auf diese Weise erfahren die Studierenden auch etwas über die Kultur der Länder. Ich habe meine Arbeit sehr gerne und unterrichte mit Leidenschaft. Zu meinen StudentInnen habe ich ein gutes Verhältnis. Mit manchen von ihnen habe ich auch außerhalb der Universität Kontakt.