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Stefan Stoev

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

Buchauszug: Kurzfassung -  Online-Version

© IDEA Society

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

Vorwort 4

Einleitung und Danksagung  6

Aktives Gedenken  8

I. Aller Anfang ist schwer oder Anlaufschwierigkeiten mit Happyend  10

II. Eine 360° Drehung durch das Museum   11

III. Die Gedenkdiener haben viele Freunde  34

IV. Was der Mensch von sich kennt, ist sein Spiegelbild  59

V. Reise in dir Vergangenheit - Rückblicke  69

VI. Zusammenhänge  80

VII. Zurück nach Österreich  90

Schlusswort 91

 

 

 


Vorwort

Christoph Meran[1]

 

Die Idee eines Leitfadens für österreichische Gedenkdiener in den USA, die Stefan Stoev mit dieser Publikation verwirklicht hat, ist ausgezeichnet. Aus seinen mit großer Hingabe zusammengestellten Interviews mit Zeitzeugen und tagebuchartigen Schilderungen spricht der Drang, das Erfahrene festzuhalten, es zu verarbeiten und weiterzugeben. Der ungefähr vierzehn Monate dauernde Zivildienst, den junge Österreicher an verschiedenen Holocaust Gedenkstätten in der Welt verbringen - mit großem Einsatz und geringen finanziellen Mitteln, gehört zu den prägendsten Erfahrungen im Leben dieser jungen Freiwilligen.

 

In meinen sieben Jahren als Mitarbeiter der österreichischen Botschaft in Washington D.C. hatte ich die Gelegenheit, fünf aufeinander folgende Gedenkdiener kennenzulernen, die ihren Dienst am US Holocaust Memorial Museum versehen haben.  An meinen Begegnungen mit ihnen hat sich gezeigt, dass der persönliche Kontakt mit Zeitzeugen und Überlebenden der Shoa, das Kennenlernen ihrer persönlichen Schicksale die viel einschneidendere Erfahrung war, als es eine rein theoretische Beschäftigung mit dem Dokumentationsmaterial des Holocaust je sein kann. Der letztes Jahr verstorbene große Historiker Gordon Alexander Craig hat genau das gemeint, als er immer wieder sagte, man müsse geschichtliche Ereignisse anhand von Persönlichkeiten verstehen und nicht die Umstände allein, sondern viel mehr die Akteure in den Vordergrund stellen.

 

Neben der seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts verbindlichen Holocausterziehung an Österreichs Schulen ist der Gedenkdienst an Holocauststätten daher wesentlich. Er schärft die Sensibilität für jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung und ermutigt zum Widerstand gegen gefährliche politische Strömungen.  Jeder Gedenkdiener, gleichgültig ob er in Washington, New York, Los Angeles oder Richmond seinen Dienst versehen hat, wird im Angesicht menschlicher Ungerechtigkeit eine mahnende Stimme in sich spüren und das Andenken an diesen oder jenen Menschen revue passieren lassen können, den er an einer der Gedenkstätten kennen gelernt hat. Das 21. Jahrhundert wird noch genügend Herausforderungen an uns stellen, an denen wir unseren Gerechtigkeitssinn testen werden können.

 

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine persönliche Erfahrung erzählen, die mich stark geprägt hat. Ich hatte einen Freund, ein gebürtiger Wiener, der als Mitglied einer Spezialeinheit der britischen Truppen am D-Day hinter den feindlichen Linien in Frankreich per Fallschirm und mit einem Fahrrad abgeworfen wurde. Er und seine jüdischen Mitstreiter waren dem Holocaust entkommen und hatten es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Hitler zu besiegen. Sie hatten sich in England, mit neuen Identitäten ausgestattet, zu Spezialeinheiten  ausbilden lassen, die für lebensgefährliche Einsätze vorgesehen waren. Ein Drittel der ungefähr 85 Mitglieder dieses Spezialtrupps überlebte den Einsatz am D-Day in Frankreich nicht.

 

Mein Freund zeichnete sich durch großen Optimismus und ungebrochene Lebensfreude aus, trotz schlechten Herzens und 83 Jahren. Ich fragte ihn, wie es ihm gelungen sei, im Angesicht der Erniedrigungen und Verluste, die seine Familie im Holocaust hinnehmen musste, eine so positive Haltung und Lebenseinstellung zu bewahren. Er sagte: “Aus zwei Gründen: Weil ich das getan hatte, was meine innere Stimme mir gebot. Und weil ich es mir zur Lebensmaxime gemacht habe, heiter auch im Angesicht der größten Not zu bleiben.”

 

Diese Sätze haben sich mir eingeprägt und ich hoffe, dass alle Gedenkdiener, die aufgrund ihres freiwilligen Einsatzes an Holocaust Gedenkstätten in die dunkelsten Winkel der menschlichen Grausamkeit geblickt haben - oder dies noch vor sich haben - ihre Erfahrungen im Sinne dieser Äußerungen nützen werden und dabei ihre Heiterkeit nicht verlieren.


 

Einleitung und Danksagung

 

Im Mittelpunkt dieses Buches ist die zwischenmenschliche Beziehung gestellt. Das Buch bildet eine Kommunikationsplattform zwischen den Generationen von Vertriebenen und der dritten Nachweltkriegsgeneration. Für manche Zeitzeugen ist der Kontakt mit den Gedenkdienstleistenden die erste Kontaktaufnahme zu deren Heimat. Für Jugendliche ist dieser Kontakt eine wertvolle Erfahrung und Einblick in geschichtliche Ereignisse. Diese Berührung führt zu vielen interessanten gegenseitigen Eindrücken von denen manche Eingang in diesem Buch gefunden haben.

 

Seit 1993 sind österreichische Gedenkdienstleistende durchgehend in Washington vertreten[2]. Während dieser Zeit wurden zahlreiche Freundschaften und traditionelle Beziehungen zu österreichischen Emigranten und Zeitzeugen in der Umgebung Washingtons geschlossen. Seit dem ersten Einsatz eines Gedenkdieners hier in Washington ist der Aufgabenbereich am United States Holocaust Memorial Museum um eine Reihe von Tätigkeiten gewachsen. Die verantwortungsvolle Forschungsarbeit in der Historikerabteilung bzw. im Archiv ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die persönliche Freundschaft zu den hier lebenden Österreichern ist eine soziale Tätigkeit, die mittlerweile von vielen Menschen hoch anerkannt und geschätzt wird.

 

Begleitend zu meiner Arbeit habe ich mich entschlossen, persönliche Eindrücke und Erfahrungen, die ich während des Gedenkdienstes gesammelt habe, aufzuschreiben. Ich empfand es für wichtig, dies schriftlich zu tun, damit sich jeder am Gedenkdienst in Washington Interessierte ein Bild von unserer Tätigkeit hier machen kann. Ich hoffe, dass auch manche Jugendliche durch dieses Buch zu einem Gedenkdienst oder einem anderen Sozialdienst angeregt werden.

 

Meine Erlebnisschilderung soll künftigen Interessenten die Gelegenheit geben, einen tieferen Einblick in die Einsatzstelle zu erhalten. Darüber hinaus kann sie ein besseres Verständnis für das Gesamtumfeld, d. h. auch für die Stadt Washington und die USA im Allgemeinen, schaffen. Das Buch könnte somit auch als Leitfaden herangezogen werden, um sich auf den möglichen Einsatz in Washington vorzubereiten.

 

Das Schreiben gab mir persönlich die Möglichkeit, diese aufregende Zeit zu verarbeiten und nochmals zu erleben. Die letzten vierzehn Monate bezeichne ich als eine unvergessliche Erfahrung fürs Leben...

 

Ich möchte mich bei allen Bedanken, die an diesem Buch mitgeschrieben und mitgearbeitet haben.

 

Bedanken möchte ich mich insbesondre bei den österreichischen Zeitzeugen, die mich in ihren Freundeskreis aufgenommen haben und mir Zugang zu ihren Lebensgeschichten gaben. Meinen aufrichtigen Dank möchte ich an Susanna und Felix Yokel aussprechen, die mich wie ein Familienmitglied behandelten und mit denen ich viele schöne Feste feiern durfte, unter anderem Pesach[3]. Danke an Marie und Kurt Heinrich für die interessanten Gespräche und für die gemeinsamen Kunststunden. Danke an Regina Espenshade und Gene Hix, ohne deren Freundschaft und Unterstützung ich mir in Washington in mancher Hinsicht verloren vorgekommen wäre. Danke an George Czuczka, der mich zum Schreiben motiviert, und immer wieder ermutigt hat, dieses Buch fertig zustellen.

 

Danke am meine Kollegen im Museum. Ich habe von meinem Vorgesetzten Peter Black sehr viel gelernt, er hat immer für die Angelegenheiten des Gedenkdienstes und für mich persönlich Zeit gefunden und mich in jeglicher Hinsicht unterstützt. Danke an meine Kollegen und Freunde Patricia Heberer, Severin Hochberg, Theresa Dowell, Vadim Altskan, Steven F. Sage, Michael Gelb, Jürgen Matthäus, Bruce Tapper, Flora Singer und Gerald Schwab.

 

Nicht zuletzt möchte ich mich bei der Initiative Gedenkdienst herzlichst bedanken, durch die ich die Möglichkeit hatte, diese wertvolle Erfahrung zu machen. Je mehr ich mich in meine Tätigkeit eingelebt habe, desto mehr lernte ich diese zu schätzen. Der Gedenkdienst gab mir die einzigartige Gelegenheit, mich aus dem alltäglichen Leben herauszudenken und meinen Blick auf etwas zu richten, worauf ich heute stolz sein kann. Ich habe Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die meine Wertvorstellungen verändert haben und meinen weiteren Weg bestimmt wesentlich prägen werden.            

 

 

Danke Herzlich, Stefan


 

Aktives Gedenken

Die Bedeutung der Vergangenheit für die Zukunft liegt im Erkennen von Zusammenhängen

Gregor Ribarov[4]

 

GEDENKDIENST ist eine politisch unabhängige Organisation, die sich mit den Ursachen und Folgen von Faschismus, Nationalsozialismus und Holocaust auseinandersetzt. Unser Augenmerk gilt insbesondere der Rolle von ÖsterreicherInnen als Täter, Mitläufer und Zuschauer. Zugleich richten wir unseren Blick auf die oft vergessenen Geschichten jener ÖsterreicherInnen, die vom NS-Regime verfolgt, vertrieben, ermordet wurden.

Zwar mag in den letzten Jahren verstärkt eine öffentlich-politische Auseinandersetzung damit stattgefunden haben, so kratzt sie doch nur an der Oberfläche dieses „Meeres an Geschichten“[5]. Mit medienwirksamen Inszenierungen scheint es zwar möglich einen Großteil der Bevölkerung zu erreichen, jedoch muss klar sein, dass man größeren Zusammenhängen einer- und persönlichen Schicksalen andererseits nicht gebührend gerecht werden kann. Gerade das Gedankenjahr 2005 hat gezeigt, wie einfach es ist, in unreflektierte Bauchpinselei zu verfallen anstatt einen produktiv-kritischen Diskurs zu führen.

Dass es keinen Bedarf an einer solchen aktiven Erinnerungspolitik gäbe, kann als Ausrede nicht herhalten. Seit 1992 haben an die zweihundert Mitglieder unseres Vereins, unter durchaus widrigen Bedingungen an zahlreichen Einrichtungen, die auf die eine oder andere Art Ursachen und Wirkungen des Holocaust thematisieren, in 13 Ländern einen Gedenkdienst geleistet. Zahlreiche junge Interessenten zeigen weiterhin, dass es Ihnen wichtig ist sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen und in der Konsequenz für die Gegenwart gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufzutreten.

Aktives Erinnern ist allerdings, um nicht in Illusionen zu verfallen, keine leichte Angelegenheit sondern ein Prozess, der hohe Anforderungen an jene stellt, die sich entschließen das bereits proklamierte Meer an Geschichten befahren zu wollen. Persönliche Schicksale und Lebensgeschichten werden wie ein Mosaik aus unzähligen Details geformt und sind derart vielschichtig, dass sie sich einer Bewertung oder Klassifizierung weitestgehend entziehen[6].  Sich mit ihnen zu beschäftigen braucht vor allem Zeit und einen entsprechenden Rahmen. Nur so ist auch das Erkennen von größeren historischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen möglich, die einmal gewonnen, auch in der Gegenwart Orientierung geben können. Um die Bereitstellung dieses Rahmens bemüht sich GEDENKDIENST nun seit über 10 Jahren erfolgreich. Vor allem das positive Feedback der zahlreichen Überlebenden die mit Gedenkdienstleistenden an den verschiedenen Einsatzstellen in Kontakt treten bestätigen unsere Arbeit. Für viele ist es eines der wenigen späten Zeichen von Anerkennung und nicht zuletzt auch eines Gesinnungswandels, dass sich junge Österreicher der dritten und vierten Generation mit ihrer Geschichte und der Täterrolle Österreichs beschäftigen.

Eine derart profunde und eingehende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wirkt sich auch auf die Gegenwart aus. So sind viele ehemalige Gedenkdienstleistende ehrenamtlich oder sogar beruflich in zahlreiche zeitgeschichtliche Projekte involviert, so auch im Verein. GEDENKDIENST bietet allen Interessierten eine Plattform für inhaltliche Diskurse, u.a. durch die Veranstaltung von Tagungen und Studienfahrten sowie die Vortragsreihe „Ge-Denken“, aber auch einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift. Dabei stehen durchaus auch brisante aktuelle Themen im Mittelpunkt, wie beispielsweise zuletzt die Situation der slowenischen Minderheit in Kärnten[7].  Damit wollen wir einen Beitrag zu einer kritischen Gesellschaft leisten, die die Idee des „Lernens aus der Geschichte“ noch nicht aufgegeben hat, sondern mit tatsächlichem Engagement untermauert.

Eine Form dieses Engagements halten sie soeben in ihren Händen. Stefan Stoev hat mit dieser Publikation sein Ziel verwirklicht, interessierten Außenstehenden einen authentischen Einblick in die Arbeit der Gedenkdienstleistenden zu geben. Gleichzeitig ist es auch eine Einladung geworden sich auf eine Fahrt durch das Meer der Geschichten zu begeben und die hoffentlich von möglichst vielen LeserInnen angenommen wird.


 I. Aller Anfang ist schwer oder Anlaufschwierigkeiten mit Happyend

 

Die Vorbereitungen für meinen Aufenthalt und Arbeitseinsatz in Washington waren alles andere als einfach. Ich war nicht nur Tag und Nacht damit beschäftigt, meine Wohnung in Wien aufzulösen und meine, sich über die Jahre zusammengestauten Sachen bei Freunden und Verwandten unterzubringen; nein, ich erfuhr am US-Konsulat auch völlig unerwartet, dass mein Antrag auf ein Visum abgelehnt worden war. Das traf mich wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Warum plötzlich abgelehnt? Eine Kooperation die über so viele Jahre reibungslos verlaufen war, stieß gerade jetzt auf eine bürokratische Hürde. Ich stand da wie im Regen ohne Schirm, alles andere hatte ich schon hinter mich gebracht: meinen Job gekündigt, meine Wohnung aufgelöst, in Washington eine Wohnung angemietet, mein Flugticket gekauft, und jetzt... Jetzt stand ich da, vor einem Dilemma und der alles entscheidenden Frage, wie es denn nun weitergehen soll.

 

Die Nerven, die ich bei der Klärung der Angelegenheit in den folgenden Tagen verlor, und die grauen Haare, die mir daraus wuchsen, sind zwar nicht mehr zu ersetzen, doch Ende gut, alles gut. Durch den großen persönlichen Einsatz und die sehr aktive Unterstützung seitens des GEDENKDIENSTES und des Museums in Washington, denen ich zu größtem Dank verpflichtet bin, erhielt ich dann letzten Endes doch ein Visum. Mein Kollege Dominik Aschauer, der seinen Dienst im Leo Baeck Institut in New York ableisten sollte, hatte weniger Glück, bekam dann jedoch die Möglichkeit, im Jewish Cultural Center in London seinen Dienst abzuleisten.

 

Durch all den organisatorischen Stress fiel das Abschiednehmen eher kurz aus. Meine Eltern gaben mir noch ein paar unerlässliche Ratschläge mit auf den Weg und meine Freunde versprachen mir zu schreiben. Jetzt aber los, Amerika, ich komme!

 

***

 

Die Anreise und der erste Eindruck

 

 

Ich konnte es kaum erwarten, meinen Dienst anzutreten. So legte ich meine Anreise auf den 22. Juni fest, also auf gute dreieinhalb Wochen vor meinem offiziellen Dienstantritt. Dadurch hatte ich genügend Zeit, um Organisatorisches zu erledigen.

Als ich am Washington Dulles International Airport (IAD) ankam, regnete es in Strömen. Ich nahm den Blue Van- Shuttlebus, der mich direkt zu der Adresse brachte, wo ich die nächsten vierzehn bzw. fünfzehn Monate verweilen sollte. Die Fahrt dauerte lang, und durch den starken Regen konnte man vom Bus aus nichts von der Stadt erkennen, um erste Eindrücke zu sammeln. Es war später Nachmittag, ich war vom langen Flug sehr müde, meine Augen waren von der künstlichen Belüftung im Flugzeug völlig trocken und rot, und ich hatte das Gefühl, Sand in den Augen zu haben. Und doch war ich durch die Aufregung voller Energie. Nach fast zwei Stunden endlos erscheinender Fahrt teilte mir der Fahrer mit, dass wir angekommen wären. Ich schnappte meine Koffer, die kaum zu tragen und vollgestopft mit allen möglichen Sachen waren. Es waren jede Menge Dinge in diesen Koffern, die ich glaubte, für meinen einjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zu brauchen. Da stand ich nun, auf einer schönen grünen Strasse, vor einem dreistöckigen Haus im viktorianischen Stil. Meine Freunde, die für mich die Wohnung organisiert hatten und im ersten Stock desselben Hauses wohnten, empfingen mich sehr herzlich. Sie gaben mir den Schlüssel für meine neue Wohnung und ich ging in das dritte und oberste Stockwerk hinauf. Als ich die Tür öffnete, fühlte ich mich in die Anfänge meiner Studienzeit zurückversetzt:

Die Wohnung glich einem kleinen Hotelzimmer, war mit einer winzigen Küche und einem Abstellraum ausgestattet, und bestand aus einem Badezimmer mit verrosteten Rohren und kaputter Toilette. Ich habe zwar viel investieren und renovieren müssen, um das Appartement angenehm sauber - ja sogar einigermaßen gemütlich - zu machen, doch das war wohl der Mindestaufwand, den ich betreiben musste, um mich in einer guten Wohngegend niederzulassen.

Mit der Zeit wurde mir auch eindeutig bewusst, in welch hervorragender Lage sich die Wohnung befand. Die kleine Wohnung an der Ecke Corcoran und 15. Strasse war nur ein paar Minuten vom berühmten Dupont Circle entfernt und lag ganz in der Nahe vom historischen Stadtteil Georgetown; das Weiße Haus war nur einige Blocks die Straße runter und das USHMM[8] konnte man zu Fuß in weniger als einer halben Stunde erreichen.

Wie erwähnt, hatte ich mit der Wohnung großes Glück, denn es ist in Washington DC nicht nur schwierig, eine gute und zugleich günstige Wohnung zu finden, es ist außerdem auch sehr herausfordernd, den unzähligen Anforderungen nachzukommen, die man erfüllen muss, um überhaupt eine Wohnung mieten zu dürfen. Im Prinzip braucht man für alles, was meldepflichtig ist, wie z. B. die Wohnung, das Konto und das Telefon, eine Sozialversicherungsnummer, auf die wir mit unserem Status als österreichische Gedenkdiener nun mal keinen Anspruch haben. Dazu kommen noch Begriffe wie Bonitätshistorie, Miethistorie und, und, und...; Dinge, die nur Kopfschmerzen bereiten, denn jemand mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung kann dies alles nicht aufweisen. Die Wohnungssuche ist für die Gedenkdiener stets ein Abenteuer mit offenem Ausgang, und die steigenden Mietpreise machen dieses Abenteuer noch spannender.

 

 

 

II. Eine 360° Drehung durch das Museum

 

 

 

Schmetterlinge im Bauch zum Dienstantritt

 

 

Als ich mich auf dem Weg zum Museum machte, um mich meinen zukünftigen Kollegen vorzustellen, war ich sehr aufgeregt. Am Touristeneingang des beeindruckenden Gebäudes auf der 14. Strasse fand ich mich vor einer riesigen Schlange von Besuchern wieder. Es war heiß wie in der Wüste und schwül wie im Regenwald, mir wurde durch die Aufregung und das lange, angespannte

 

 

 

Warten leicht schwindlig. Die Kontrollen, die man beim Betreten des Museumskomplexes durchlaufen muss, erinnern an die Sicherheitskontrollen auf einem Flughafen. Die Größe des Museums hat meine Vorstellungen mehrfach übertroffen. Ich ging zum Aufzug, um ins fünfte Obergeschoss zur wissenschaftlichen Forschungsabteilung hinaufzufahren. Christoph holte mich vor dem Aufzug ab und führte mich in die Abteilung. Dort stellte er mich meinen Vorgesetzten und Kollegen Peter, Patricia, Severin und Anna vor. Anna war damals als freiwillige Assistentin in der Historikerabteilung tätig. Ich wurde von allen so warm und herzlich empfangen, dass mein Lampenfieber rasch verging. Peter nahm sich sofort die Zeit, um mich in die Organisation der Abteilung und meine Tätigkeit einzuführen. Er stellte mich auch den anderen Kollegen vor. Mein Arbeitsplatz war ein klassisches Cubicle, ausgestattet mit einem Schreibtisch, einem Computer und einer Schublade, wie man es aus den amerikanischen Filmen kennt.

Einmal bat ich Peter um ein kurzes Gespräch, um über die Zusammenarbeit mit dem Gedenkdienst und über seine persönliche Erfahrung mit den Gedenkdienern zu sprechen.

 

***

 

Gespräch mit Dr. Peter Black, Senior Historian

Direktor der historischen Forschungsabteilung am

United States Holocaust Memorial Museum in Washington

 

 

 

 

Im April 1993 öffnete das Holocaust-Museum in Washington erstmals seine Türen. Noch im selben Jahr begann die Kooperation mit dem Gedenkdienst, und gleich darauf trat der erste Gedenkdiener Anton Legerer seinen offiziellen Zivilersatzdienst in Washington an.

Heute, zwölf Jahre später, bin ich der elfte Gedenkdiener, der - wie alle seine Vorgänger - in der historischen Forschungsabteilung unter der Leitung von Dr. Peter Black arbeitet. Dr. Black ist seit 1997 für die Gedenkdiener im Museum verantwortlich. In einem gemeinsamen Gespräch erzählt er von seinen Erfahrungen und Freundschaften mit den Gedenkdienern:

„Ich habe als ersten Gedenkdiener Helmut Prochart kurz vor seiner Heimfahrt kennengelernt“, erinnert er sich. „Damals war unsere Abteilung noch sehr klein. Es gab noch keine internationalen Forschungsprojekte und auch nur wenige Angestellte in unserem Bereich. Das Zentrum für höhere Holocaustforschung (Center for Advanced Holocaust Studies) war noch nicht eingerichtet, und wir waren eine Mannschaft von wenigen Leuten. Der Gedenkdiener war deshalb ein wichtiges Teammitglied, sowohl bei wissenschaftlichen als auch bei administrativen und organisatorischen Arbeiten. Als Thomas Huber, im April 1998, seine Tätigkeit bei uns aufnahm, hatte er die gleichen Kernaufgaben, die für seine Nachfolger bis heute unverändert geblieben sind:

Er hat sich am Museum mit der Beantwortung von Anfragen und mit Forschungsaufgaben befasst. Daneben führte er die Besucher und Delegationen, die von der österreichischen Botschaft vermittelt wurden, durch die Ausstellungen. Darüber hinaus pflegte und intensivierte er die sozialen Kontakte zu österreichischen Zeitzeugen, die in die Vereinigten Staaten emigrierten und heute in der Umgebung Washingtons leben. Ein bedeutendes Projekt, bei dem er uns beispielsweise unterstützt hat, war die Verfassung der Bibliographie des Jüdischen Widerstandes. Thomas war der erste Gedenkdienstleistende, den ich während seines Dienstes von Beginn an betreute. Sein Nachfolger ab Mitte Juli 1999 war Roman Kopetzky. Er entwickelte sich zu unserer internen Computerfachkraft, denn er hatte zwar keine historischen Vorkenntnisse, war jedoch ein Experte im EDV-Bereich, wo er dann auch verstärkt zum Einsatz kam. Im Herbst 2000 kam dann Harald Schindler, der von Beruf Meteorologe war. Da ich damals keine administrative Unterstützung hatte, übernahm er diese Aufgabe und kam hervorragend damit zurecht. Als sein Dienst am 14. September 2001 endete, verzögerte sich seine Heimreise auf Grund des 11. Septembers. Sein Nachfolger war Roland Engel, der sich stark für die Angelegenheiten der Zeitzeugen engagierte. Der Schwerpunkt seiner Ausbildung lag im Personalwesen. Aus diesem Grund konnte er sehr gut mit anderen Menschen umgehen. Die Idee, seine Qualitäten gezielt einzusetzen, gab uns dann den Anstoß, die Gedenkdiener künftig auch in die Arbeit anderer Abteilungen zu involvieren. Auf Roland folgte Paul Schiefer, von Beruf Journalist. Durch seinen Beruf war er sehr gut organisiert und brachte den Fokus des Gedenkdienstes wieder zurück auf die Arbeit an der historischen Forschungsabteilung. Nach ihm kam dann dein Vorgänger Christoph Köttl. Er hatte ja Geschichte studiert und war in unserem Umfeld zu Hause. Er zeigte Begeisterung für die Militärgeschichte und leistete einen großen Beitrag bei der Forschung zum Thema KZ-Befreiung durch US-Militäreinheiten.

Deine eindeutige Stärke, Stefan, sind deine Sprachkenntnisse. Aus diesem Grund wurdest du auch in die Arbeit der Archivabteilung so intensiv eingebunden, wodurch du das Profil des Gedenkdieners um eine weitere Kompetenz erweitert hast.“

Im Laufe unseres Gesprächs musste ich daran denken, wie ich vor einem Jahr meinen Dienst antrat. Ich musste auch an die Vorbereitungszeit zurückdenken. Damals haben wir in einer großen Gruppe Studienreisen nach Theresienstadt und Auschwitz unternommen und zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Mein Nachfolger trifft bald ein, um hier in Washington meine Aufgaben zu übernehmen und fortzusetzen. Die Zeit ist schnell vergangen, doch die Erinnerung bleibt für das ganze Leben. Ich habe eingesehen, dass die Geschichte ein sehr dynamisches Thema ist, dessen Verständnis von der jeweiligen Generation abhängt. Deshalb empfinde ich es als wichtig, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um diese besser zu verstehen und aus ihr für die Zukunft zu lernen.

Zum Abschluss unseres Gesprächs fügte Peter noch hinzu:

„Ich begrüße die positive Alternative zum Militärdienst durch die Ableistung eines Gedenkdienstes an einer Holocaustgedenkstätte. Deshalb bemühen wir uns auch bei den Aufgabenstellungen an die Gedenkdiener um eine gewisse Flexibilität, damit das Anforderungsprofil an die persönlichen Qualifikationen angepasst werden kann und keine Barriere für die Kandidaten darstellt. Wir begrüßen die Zusammenarbeit sehr und freuen uns auch weiterhin auf eine gute Kooperation.“

 


 

***

 

 

Das Holocaust-Museum wurde am 26. April 1993 eröffnet. Der erste offizielle Besucher war der Dalai Lama. Heute[9] zählt das Museum über 22 Mio. Besucher aus aller Welt, darunter 7,5 Mio. Kinder und 2700 offizielle Delegierte aus 130 Ländern. Als ich das riesige Gebäude das erste Mal betrat und die Sicherheitskontrolle passierte, richtete sich mein Blick auf die vielen Fahnen der Befreiungsarmeen, die wie Soldaten in einer Reihe vor mir standen. Ich machte ein paar unsichere Schritte, umfangen von einem Gefühl der Desorientierung. Die massiven Stahlsäulen und protzigen Steinmauern übten eine besondere Kälte auf mich aus. Der Architekt James Ingo Freed wollte eine architektonische Beziehung zwischen dem Gebäude und den sich darin befindenden Ausstellungen schaffen. Im Jahr 1980 gab der Amerikanische Kongress dem USHMM den offiziellen Status einer permanenten Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts. Der Auftrag zur Errichtung des Museums - das zunächst als Denkmal vorgesehen war - wurde von Präsident Jimmy Carter gegeben.

 Das USHMM befindet sich zwischen der 14. und 15. Strasse in der Nähe der Independence Avenue und ist von beiden Seiten zugänglich. Das Museum besteht aus zwei miteinander verbundenen Gebäuden. Aus der Vogelperspektive betrachtet, erinnern die spitzen Türme, die in zwei Viererreihen errichtet worden sind, an die Wachtürme eines KZ. Auf der Westseite am Eisenhower-Platz befindet sich das sechseckige Annexgebäude, dessen Dach die Form einer Pyramide hat. Darin befindet sich die Hall of Remembrance, das amerikanische Nationaldenkmal für die Holocaustopfer:

 Im Inneren des Raumes sind auf Granitwänden die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager nachzulesen. Kerzenlichter erhellen den Raum von allen Seiten. Säulen aus Kalkstein bilden einen engeren Kreis um den Raum, in dessen Zentrum die ewige Gedenkflamme brennt. In die Kalkwände sind verschiedene Epitaphen eingemeißelt. Die Gedenkstätte ist von einer sechseckigen Glaspyramide in Form eines Wintersterns überdacht, durch die der Raum mit Sonnenlicht erfüllt wird.

In der Hall of Remembrance finden regelmäßig Feierlichkeiten und Ansprachen von bedeutenden Politikern aus aller Welt statt. Im Laufe meiner Dienstzeit durfte ich den Besuchen der Staatspräsidenten von Rumänien, Traian Basescu, und der Ukraine, Viktor Juschtschenko, beiwohnen.

Wenn man das Museum durch einen der beiden Eingänge betritt, befindet sich der Besucher zunächst in der Hall of Witness. Als erster Anlaufpunkt dient der Information Desk, an dem Auskünfte über die einzelnen Ausstellungen und das Umfeld des Museums gegeben werden:

Jeden Donnerstag hilft unsere Historikerabteilung am Informationsstand in der Hall of Witness aus. Mir bereitet diese Tätigkeit besondere Freude, denn dabei habe ich die Möglichkeit, mit Zeitzeugen, die als Freiwillige den Visitor Service-Bereich unterstützen, zusammenzuarbeiten. Hierbei lernt man Menschen aus aller Welt und aus den verschiedensten Kulturen kennen und wird dabei auch mit den eigenartigsten Fragen konfrontiert, auf die man zu Antworten wissen muss. Ich betrachte diese zwischenmenschliche Interaktion als eine große Bereicherung.

Auf derselben Ebene ist die Kinderausstellung Daniel’s Story: Diese versetzt die Besucher in die Rolle des achtjährigen Daniels, der gemeinsam mit seiner Familie die Härte und die Gräuel eines Arbeits- bzw. Konzentrationslagers erfährt, und aus seinem Tagebuch von den Ereignisse aus dieser Zeit berichtet.

Wenn sich der Besucher von der Hauptebene ins Untergeschoss des Museums begibt, kommt er zu den temporären Ausstellungen. Zur Zeit hat er dort die Möglichkeit, die Ausstellung Deadly Medicine zu besichtigen:

Darin wird das Thema Rassenpolitik mit Hilfe von Eugenik behandelt. Getrieben durch ihre rassistische Ideologie, wurde von deutschen Wissenschaftlern die Überlegenheit der Deutschen Rasse propagiert.  Um das nationale Interesse zu wecken, bezeichneten Sie die Thematik der Bedrohung durch andere Rassen als eine Gefahr für die "Gesundheit" der Nation. Auf diesen Theorien baute die nazi-deutsche Regierung ihre politischen Maßnahmen auf. Teile des vorgeführten Filmmaterials erinnerten mich sehr stark an Kurt Gerons[10] Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“.


 

 

***

 

Beitrag von Bruce Tapper, Senior Editor an der Publikationsabteilung am USHMM

 

 

   Ich lernte Stefan zum ersten Mal kennen, als ich an dem Übersetzungsprojekt für den Museumsführer arbeitete. Dabei ging es darum, die englischsprachige Informationsbroschüre in neun weitere Sprachen zu übersetzen. Als Redakteur an der Publikationsabteilung des Museums nahm ich die Vorversion des deutschen Textes, die bei einer auswärtigen Übersetzungsagentur in Auftrag gegeben worden war, mit zur Einsicht. Unser Abteilungsleiter hatte daran einige Änderungen vorgeschlagen.

 

   Dies war das erste Mal, dass eine Museumspublikation auf Deutsch herausgegeben wurde, und aus diesem Grund wollten wir auch jegliche Fehler vermeiden. Mir ging es darum, in allen Übersetzungen einheitliche Information zu vermitteln.

  

   Stefan war gerade in Washington angekommen und wurde von seinem Vorgänger Christoph Köttl in seinen Tätigkeitsbereich eingeführt. Ich hielt es für eine gute Idee, zunächst von deutschen Muttersprachlern eine Meinung zur Übersetzung einzuholen.

 

   Die Broschüre beschreibt die Aufgaben des Museums und gibt einen Überblick über dessen einzelne Ausstellungen und Einrichtungen. Beim Einblick in das englische Original schlugen Stefan und Christoph gemeinsam Änderungen an der deutschen Version vor. Später, nachdem diese Änderungen durchgeführt worden waren, überprüfte Stefan noch einmal die Wortstellung und bemerkte weitere grammatikalische Fehler.

 

   Am Ende wurde das Dokument vom Abteilungsleiter genehmigt und der gedruckte Prospekt wurde bei unseren deutschsprachigen Besuchern sehr beliebt.

 

   Nach dieser ersten Bekanntmachung und meinem ersten gemeinsamen Projekt mit Stefan schlossen wir Freundschaft und entdeckten gleichzeitig, dass wir viele gemeinsame Interessen hatten, wie beispielsweise die Kunst, das Reisen und die Leidenschaft über verschiedene Kulturen zu lernen.

 

   Neben meinem Abschluss als Journalist habe ich auch ein Doktorat in sozialer Anthropologie, mit dem Schwerpunkt Süd-Asien. Darüber hinaus habe ich in zahlreichen fremden Ländern gelebt. Ich komme an jedem Freitag ins CAHS[11] zu einem informellen Yiddish-Studienkreis, und schaffte es, auch Stefans Interesse dafür zu wecken. Er nahm auch an einigen unserer Seminare, in denen wir holocaustbezogene Artikel lesen und übersetzen, teil.

 

   Das Alphabet stellt sicherlich eine Herausforderung da, doch das Vokabular ist dem Deutschen sehr ähnlich. Stefan nahm sogar seinen Nachfolger Christian Url mit, der sich auch einigen unserer informellen Sitzungen anschloss.

 

   Stefans Dienstzeit am USHMM ist sehr rasch vergangen, und nun kehrt er wieder zurück in seine Heimat Österreich. Ich weiß bereits heute, dass ich unsere Mittagsdiskussionen vermissen werde. Doch ich weiß auch, dass ich jetzt einen guten Freund in Wien habe.

 

 

***

 

Einblick in die Archivarbeit und Zusammenarbeit

 

Durch die Übersetzungstätigkeit habe ich an zahlreichen Dokumenten aus dem Museumsarchiv gearbeitet, die von der internationalen Archivabteilung (International Archival Programs Division - IAPD) zur Verfügung gestellt wurden. Die Aufgabe der IAPD ist es, die Beweismaterialien aus der Zeit des Holocaust zu aquirieren. Diese Materialen dienen der Holocaustforschung am Forschungszentrum des Museums - CAHS.  Das Zentrum betreibt eine Reihe von Aquisitionsprogrammen, kooperiert mit über 50 Ländern weltweit und ergänzt dadurch den Archivbestand des Museums jährlich um zwei Millionen Seiten. Als Ergebnis dieser Programme entwickelte sich das Museum rasch zur weltgrößten und meist konsultierten Quelle für Holocaustdokumentation.

 

Über die Zusammenarbeit mit der IAPD lernte ich meine beiden Freunde Anatol und Vadim kennen:

 

 

***

Bratushka Stefan

Beitrag von Vadim Altskan[12], über unsere Gespräche und die entstandene Freundschaft

 

Ich lernte Stefan im September 2004 kennen, ein paar Monate nachdem er seinen Dienst als Gedenkdienstleistender im Museum begonnen hatte. Es war uns vorausbestimmt gute Freunde zu werden, einerseits wegen unserer verwandten Herkunft (Bulgarischer und Russischer), aber vielmehr auf Grund unserer gemeinsamen Interessen in Geschichte, Kunst, Musik, Politik und Reisen.

 

 

 

 

Im Museum beriet sich Stefan mit mir, wenn er an Russischen Dokumenten aus dem Archiv arbeitete, doch unsere Unterhaltungen erstreckten sich auch außerhalb der Arbeitszeiten. Wir haben Picknicks in den Dumbarton Oaks Gärten unternommen, wo Stefan gemeinsam mit meinem Sohn malte. Wir haben uns über verschiedene Kulturen unterhalten und uns Gedanken darüber gemacht, wie die Welt zu verbessern wäre. Ich besichtigte seine Bilderausstellung, an der St. Thomas Kirche, die er gemeinsam mit einem österreichischen Überlebenden organisiert hatte. Ja, Stefans Dienstzeit hat viele Erinnerungen zurückgelassen und wir werden ihn hier sehr vermissen. Doch ich habe ihm versprochen, dass wir uns wieder sehen werden und dieses Versprechen werde ich einhalten.

 

 

***

 

 

Anatol Steck ist gebürtiger Wiener und seit 1988 in Washington. Er hat an der Catholic University studiert, wo er 1995 ein  B.A. in General Studies machte und danach einen Masters in Library and Information Science belegte.

„Während meines Studiums war ich vollzeitig als Archivar an der Charles Sumner School Museum and Archives - einem historischen Kulturzentrum, Museum und Archiv - in Washington beschäftigt”, erzählt Anatol über sein Leben und seine Arbeit.

„Ich wollte schon seit der Eröffnung 1993 für das United States Holocaust Memorial Museum arbeiten.  Ich hatte das Glück, dass ich 1999 - kurz vor Abschluss meines Studiums - in der Bibliothek des Museums eingesetzt wurde. Diese zwei Jahre waren eine sehr lehrreiche Zeit.“

2001 wechselte Anatol in die internationale Archivabteilung. Dort ist er für die archivarischen Akquisitions- und Reproduktionsprojekte in Zusammenhang mit der Geschichte Österreichs, Israels und der Tschechischen Republik zuständig.

   „Ein besonders nennenswertes, aktuelles Projekt - auch was den Gedenkdienst betrifft - ist die Erfassung und Mikroverfilmung des Archivmaterials der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG Wien) in unser Archiv. Dieses Projekt wird in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde in Wien und den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem durchgeführt.”

   Die holocaustrelevanten Bestände des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien bestehen aus zwei Archivkomponenten:

   Die erste Archivkomponente, die zirka 400.000 Seiten umfasst, wurde im Januar 2001 von einer Wohnung im 15. Wiener Gemeindebezirk in die Anlaufstelle es Internationalen Steering Committees, dem Komitee für jüdische NS-Verfolgte in und aus Österreich, überstellt. Dieses Archivmaterial, das durch die jahrzehntelange Lagerung in der Liegenschaft teilweise Wasserschäden aufweist und von Schimmel befallen ist, beinhaltet wichtige Namenskarteien und andere Informationsquellen zu jüdischen Opfern und Überlebenden des Holocaust in und aus Österreich.

Die zweite Archivkomponente besteht aus dem Jahrhunderte umfassenden Gesamtarchiv der IKG Wien, das nach dem Zweiten Weltkrieg von Wien nach Jerusalem - an die Central Archives for the History of the Jewish People - überstellt wurde. An die eine Million Seiten holocaustrelevanten Archivmaterials wurden durch Mitarbeiter der IKG Wien identifiziert und erfasst. Ein sehr wichtiger Teilbestand dieses Gesamtarchivs sind die so genannten „Auswanderungsfragebögen“. Jeder jüdische  Haushaltsvorstand musste ab Mai 1938 einen detaillierten Fragebogen ausfüllen, um das Land verlassen und der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen zu können.

   Die Fragebögen wurden von den Nationalsozialisten für die systematische Vertreibung und Beraubung der österreichischen Juden und die Deportation der Zurückgebliebenen verwendet. Diese so genannten „Auswanderungsfragebögen“ bilden einen der umfangreichsten Bestände an Personendaten zu österreichischen Juden aus den Jahren 1938 und 1939.

   Mit insgesamt 1,4 Millionen Seiten sind die holocaustrelevanten Archivbestände der IKG Wien somit eine der vollständigsten und umfangreichsten Informationsquellen einer jüdischen Gemeinde zur Zeit des Holocaust.

   „Seit 2002 verfilmt die internationale Archivabteilung des United States Holocaust Memorial Museums in enger Zusammenarbeit mit der IKG Wien die Archivbestände Wiens. Seit 2004 wird dasselbe Projekt in Jerusalem umgesetzt. Die produzierten Filme werden ab Ende 2006 für Forscher zugänglich sein.”

 

 

 

  

Über seine Erfahrung mit den Gedenkdienern ergänzt er:

 

„Mit den Gedenkdienstleistenden tausche ich gelegentlich Informationen aus. Ab und zu gehen wir gemeinsam essen, treffen uns bei privaten Veranstaltungen und auch bei offiziellen Anlässen auf der österreichischen Botschaft.”

 


 

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Holocaust-Forschung als Beruf?

Beitrag von Jürgen Matthäus[13]

 

„Sie sind Historiker am Holocaust-Museum in Washington? Da haben Sie ja einen Traumjob!“

„Was, das sind Ihre Arbeitsfelder? Wenn das mal gut geht ...“

Zwei Stimmen, die die Spannbreite der Reaktionen aus dem weiten Kollegenkreis wiedergeben, sobald ich erwähne, wo und woran ich arbeite.

Wie so oft liegt die Wahrheit auch hier irgendwo zwischen den Extremen. Fest steht, dass mir meine Zeit am USHMM einzigartige Erfahrungen mit Menschen, Archivmaterial und Forschungsthemen gebracht hat, die ich keinesfalls missen möchte.

 

Aber wie kam ich nach Washington?

 

Der Weg führte keineswegs direkt von der Ruhr-Universität-Bochum über Sydney in Australien nach Washington DC.

Auf der Ruhr-Universität promovierte ich bei Hans Mommsen, und zu meinem Einsatz in Australien kam ich durch meinen guten Freund Konrad Kwiet, der mir dort ein unwiderstehliches Angebot machte.

Kwiet ist einer der führenden Historiker der Holocaust-Forschung, der schon früh an zentralen Themenfeldern, wie deutsche Verfolgungspolitik im besetzten Europa, jüdischer Widerstand und die Motive der Täter, arbeitete.

Von der Freien Universität Berlin, an der er in den turbulenten Jahren der Studentenbewegung promovierte und habilitierte, zog es ihn Anfang der 70er-Jahre nach Australien, das seither seine Heimat ist. Ende der 80er-Jahre sorgten in den australischen Medien Berichte über Beteiligte an deutschen Kriegsverbrechen, die nach 1945 „down under“ untergetaucht waren, für Schlagzeilen. Eine eigens geschaffene Behörde, die Special Investigations Unit (SIU) des Attorney-General’s Department, sollte die Anschuldigungen untersuchen. Dies war aber ohne historische Expertise nicht machbar. Konrad Kwiet begleitete die Arbeit der SIU als Chief Historian bis zu ihrer Schließung 1992. Andere Historiker - wie Martin Dean, der ebenfalls am USHMM arbeitet, und ich - unterstützten ihn dabei. Anhand zahlreicher Quellen, die aus osteuropäischen Archiven stammten und erstmals für Forschungszwecke zugänglich waren, konnten wir untersuchen, wie der Holocaust nicht nur geplant, sondern auch in seiner ganzen Brutalität umgesetzt wurde.

Judenmord als Forschungsobjekt und weniger als Gegenstand institutionalisierten Gedenkens stand von Beginn an im Mittelpunkt meiner Arbeit am USHMM. Nachdem mich Konrad Kwiet meisterlich in das Thema eingeführt hatte, machte er mich Anfang 1994, nach Beendigung unserer gemeinsamen SIU-Ermittlungen, auf eine Annonce aufmerksam, in der das im Jahr zuvor eröffnete USHMM um Bewerbungen für sein neues Fellowship-Programm bat. Wer heute auf der Museumswebsite nach diesen Forschungsstipendien sucht, findet eine ganze Palette unterschiedlichster Programme. Damals gab es nur zwei: die Shapiro- und die Resnick-Fellowships.

Kandidaten für die Shapiro-Fellowships wurden und werden vom Academic Committee des USHMM auf Basis ihrer hervorragenden akademischen Leistungen ernannt; die Resnick-Fellowships dagegen richten sich an jüngere Wissenschaftler, die eher am Anfang ihrer Karriere stehen.

Meiner Bewerbung lagen Empfehlungsschreiben von Hans Mommsen und Konrad Kwiet bei, über den Erfolg befanden Raul Hilberg, Willard Fletcher und andere Mitglieder des Academic Committee. Ihnen habe ich zu verdanken, dass ich heute am Museum arbeite.

Als erster Fellow am USHMM war ich anfangs mindestens ebenso verwirrt wie die Museumsmitarbeiter, die sich meiner annahmen: Was tut eine gerade eröffnete und vom unerwarteten Publikumszuspruch überwältigte Institution mit jemandem, der zu einem historischen Thema forscht und mit der Entstehungsphase des Museums ebenso wenig vertraut ist wie mit der amerikanischen Kultur im Allgemeinen, und besonders der Washingtoner Variante?

Dass ausgerechnet der erste Fellow des damaligen Research Institutes aus Deutschland kam, war nie Gegenstand von Diskussionen. Die große Kollegialität und Wärme, mit der ich bei meiner Ankunft im August 1994 hier empfangen wurde, begleitet mich seither. Trotz vielerlei Veränderungen - an die Stelle des Research Institute trat Ende der 90er-Jahre das Center for Advanced Holocaust Studies; der Mitarbeiterstab ist expandiert und von den Museumsgründern sind einige nicht länger involviert - und trotz der Tatsache, dass es sich um eine Regierungsbehörde handelt, bleibt das Museum das, was man als „charmatische Institution“ bezeichnen kann: Die Mehrzahl derer, die hier arbeiten, tun dies, weil sie vom Sinn des Unternehmens überzeugt sind, sofern sie sich nicht sogar wünschen, aus der Einsicht in die Vergangenheit könnten Lehren für die Zukunft gezogen werden.

Seit meinen ersten Tagen am Museum konnte ich die Hingabe und Professionalität, die viele meiner Kolleginnen und Kollegen antreibt, bewundern. Zu den Menschen, denen ich verdanke, dass ich noch dabei bin, gehören Sybil Milton, verstorben im Sommer 2000, Brewster Chamberlin, Wesley Fisher, Radu Ioanid, Paul Shapiro und Michael Berenbaum. Daneben stehen all jene, die mir freundschaftlich verbunden sind. Für zahlreiche Kontakte innerhalb und außerhalb des Museums und eine andauernde Verlängerung meiner „learning curve“ sorgte die Beteiligung an Archiv-, Ausstellungs- und anderen Projekten.

Seit meiner Rückkehr aus Berlin, wo ich für das USHMM über vier Jahre für Akquisitionsprojekte aus einigen europäischen Ländern zuständig war, bin ich seit September 2004 für die hauseigenen Forschungsprojekte des Centers - in erster Linie die Camps & Ghettos-Enzyklopädie und eine vielbändige Quellenedition, über die sich mehr auf der Museumswebsite finden lässt - verantwortlich.

Wenn in der Überschrift die Berufsbezeichnung Holocaust-Forscher dennoch mit einem Fragezeichen steht, liegt dies nicht an der institutionellen Spannung zwischen Bürokratie und Wissenschaft oder an generellen Zweifeln über den Sinn derartiger Beschäftigung.

Wer sich die Archivbestände des Museums vor Augen hält, die Millionen von Dokumenten, Zehntausende von Photographien und Tausende von Zeitzeugenberichten umfassen, kann nicht übersehen, dass neben der Ausstellungsfunktion des Museums auch ein solides Fundament für kritische Forschung besteht.

Fragwürdig ist indes der Trend zur Spezialisierung, der selbst bei Holocaust-Experten bewirkt, dass ein Gesamtüberblick nicht mehr möglich ist. Dennoch scheint dieser Trend unvermeidlich zu sein.

Eine Institution wie das USHMM kann jedoch dazu beitragen, dass die Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen miteinander reden und - soweit dies Sinn macht - gemeinsam arbeiten.

 

 

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Internationalität und Austausch in den Holocaust Studies

Beitrag von Dirk Rupnow[14]

 

Orte und Institutionen haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Inhalte und Perspektiven wissenschaftlicher Arbeit von Historikern und Kulturwissenschaftlern. Wie viele andere Forschungsfelder haben auch die Holocaust Studies die Grenzen nationaler Wissenschaftsorganisation hinter sich gelassen und funktionieren in einem internationalen Zusammenhang. Während man jedoch immer noch selten Spezialisten für außereuropäische Geschichte an deutschen oder österreichischen Universitäten findet, sind andererseits an den US-amerikanischen Universitäten Themen europäischer Geschichte stark verankert. Im Hinblick auf den Charakter der USA als eines Einwanderungslandes mit vornehmlich europäischen Wurzeln und als einer Supermacht mit weltweiten Interessen kann dies natürlich kaum überraschen, dennoch läßt einen immer wieder die Qualität entsprechender Forschungseinrichtungen und Forschungen zu Themen, deren lokaler Schwerpunkt in großer Entfernung liegt, erstaunen. Aus europäischer Sicht scheinen für viele Wissenschaftsgebiete der Bezugs- und Orientierungspunkt die USA und die dortigen Universitäten und Forschungseinrichtungen zu sein. Dies beschränkt sich freilich nicht auf die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, sondern gilt ebenso für die Natur- und Biowissenschaften.

Für die Erforschung des von Deutschen und Österreichern initiierten und mit ihren Komplizen im Namen der nationalsozialistischen Weltanschauung durchgeführten Massenmords an den europäischen Judenheiten während des Zweiten Weltkriegs, sind die USA geradezu zum bestimmenden Ort geworden und nicht Deutschland, Österreich oder ein anderes europäisches Land, in dem sich die Ereignisse zugetragen haben. Auch nicht Israel. Damit soll keineswegs der entscheidende Beitrag von Wissenschaftlern aus allen diesen Länder negiert werden. Vor allem auch deutsche Historiker der jüngeren, dritten Generation haben in den vergangenen Jahren wegweisende Arbeiten vorgelegt. Dennoch scheint der hohe Grad der Institutionalisierung und Professionalisierung der Holocaust Studies in den USA auffällig und bemerkenswert. Natürlich lassen sich auch dafür eine Vielzahl von historischen Gründen anführen: von der unmittelbaren Begegnung US-amerikanischer Soldaten mit den NS-Gewaltverbrechen bei der Befreiung von Lagern gegen Ende des Zweiten Weltkriegs über die Mitnahme von deutschen Akten als Beweismittel in die USA und die Durchführung der Kriegsverbrecherprozesse bis hin zu innen- und außenpolitischen Gründen in den 1980er und 1990er Jahren, die eine Einbindung des ›Holocaust‹ in die Konstruktion US-amerikanischer Erinnerung und Identität opportun erscheinen ließen.

Gerade das US Holocaust Memorial Museum in Washington, dessen Eröffnung an der National Mall im Jahr 1993 eben diese Integration markiert, hat mit seiner Architektur, seiner Dauerausstellung und seinen diversen Programmen und Projekten internationale Standards gesetzt. Seine Mischung aus Museum, Forschungszentrum, Archiv, Bibliothek und Lernort ist - abgesehen von Yad Vashem in Jerusalem - einzigartig und garantiert auf allen Feldern höchstes Niveau. Nicht zuletzt die sukzessive Sammlung der weltweit verstreuten, Holocaust-relevanten Akten auf Mikroformaten stellt einen äußerst ehrgeizigen, langwierigen, aber entscheidenden Schritt für Holocaust-Forscher in aller Welt dar - und macht das Museum, sein Archiv und seine Forschungsabteilung zu einem zentralen Ort der Holocaust Studies. Eine gewisse lokale Distanz zum Forschungsobjekt kann bekanntermaßen ja auch einen zusätzlichen Vorteil darstellen, falls eine örtliche Entfernung bei einem Ereignis wie dem „Holocaust“ überhaupt eine Bedeutung haben kann.

Dennoch bleibt es erstaunlich, dass es in Deutschland und Österreich nur wenige vergleichbare Orte gibt, die explizit der Erforschung und Darstellung der immerhin von Deutschen und Österreichern initiierten und unter Beteiligung kollaborierender Gruppen durchgeführten Massenverbrechen gewidmet sind. Neben dem Frankfurter Fritz Bauer-Institut, das Forschung, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit miteinander verbindet, und der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, die Ausstellung und Forschung verbindet, stehen in Deutschland vor allem zeitgeschichtliche Forschungseinrichtungen, die aber in den vergangenen Jahren - wie die zeitgeschichtliche Forschung im Allgemeinen - ihren Schwerpunkt zunehmend auf die Nachkriegsgeschichte verschoben haben (Institut für Zeitgeschichte, München; Zentrum für zeithistorische Forschung, Potsdam). Dies entspricht zwar dem stetigen Voranschreiten des Zeithorizonts der Zeitgeschichte, der ihr per definitionem eingeschrieben ist, übersieht aber die weiterhin bestehende besondere Bedeutung der Ereignisse im Zusammenhang mit der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik für unsere Gegenwart, die trotz der generationellen Entwicklung und neuerer historischer Brüche (Auflösung der kommunistischen Systeme) unverändert gegeben ist. Allein ein Blick auf öffentliche Debatten und Diskurse, die sich entweder in kritischer Auseinandersetzung oder aber auch in Abwehr auf die NS-Zeit beziehen, lässt diese Tatsache sehr deutlich werden.

In Österreich, das nach dem „Anschluss“ 1938 im Deutschen Reich aufgegangen war, dessen Bürger aber danach als Deutsche an den NS-Verbrechen in vollem Umfang teilnahmen, stellt sich die Situation der Institutionalisierung noch schlechter dar: Neben den zeitgeschichtlichen Instituten und Lehrstühlen an den Universitäten findet sich nur das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien, das Archiv, Forschungszentrum und Ausstellung zu verbinden versucht und sich früh mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt hat, dabei aber zunächst vor allem - wie der Name schon sagt - den Blick auf Österreicher als Widerstandskämpfer gerichtet hatte, daneben allerdings auch als erste österreichische Institution Täterforschung betrieb.

Die Internationalität gerade der Erforschung des „Holocaust“ liegt natürlich auch in der räumlichen Ausdehnung der Ereignisse begründet und spiegelt nur die Tatsache, dass fast ganz Europa zum Schauplatz von Diskriminierung, Raub und Massenmord wurde und diejenigen, die rechtzeitig auswandern konnten oder überlebt haben, in alle Welt als Flüchtlinge verstreut wurden. Diese Internationalität in der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen ist aber auch die Kehrseite des globalen, alle angenommenen moralischen Schranken negierenden Anspruchs der rassistisch-antisemitischen Ideologie des Nationalsozialismus, die die damaligen deutschen Massenverbrechen zu einer ethischen Herausforderung in globaler Dimension werden lässt. Darum sind internationale Zusammenarbeit und Austausch heute auch so entscheidend.

Doch gerade von kulturwissenschaftlicher Seite ist in den letzten Jahren immer wieder betont worden, dass Geschichtsforschung und -schreibung keineswegs objektive, über der Geschichte stehende wissenschaftliche Tätigkeiten, sondern selbst historisch verortet und damit kontingent sind. Geschichte ist ein Konstrukt und die eigene Position in ihr bestimmt auch - zumindest in einem gewissen Maße - die jeweilige Perspektive auf sie. Das gleiche könnte man von der lokalen Positionierung behaupten. Und eben dies macht internationale Zusammenarbeit und Austausch auch so fruchtbar: Man wird an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert und gewinnt mit jedem Ortswechsel neue Einsichten. Die eigene Wahrnehmung verändert sich. Trotz vielfältiger Verknüpfungen, trotz internationaler Tagungen, trotz Austauschprogrammen und vor allem trotz eines internationalen Buchmarkts unterscheiden sich Themen, Diskussionen und Zugänge in verschiedenen Ländern mehr als man in Zeiten der Globalisierung annehmen möchte.

Nun könnte man freilich einwenden, dass Internationalität und Austausch/-fähigkeit ein essentieller Bestandteil von Wissenschaft, eine conditio sine qua non von Wissenschaftlichkeit sind und Wissenschaftler dementsprechend schon immer international gearbeitet haben, ihre Möglichkeiten in diese Richtung höchstens durch die zur jeweiligen Zeit gegebenen Kommunikations- und Transporttechniken eingeschränkt gewesen sind. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Internationalität und Zusammenarbeit keineswegs immer Selbstverständlichkeiten für die Zunft darstellten - ganz im Gegenteil. Darüber hinaus sind gerade Zeitgeschichte und jüdische Geschichte Wissenschaftsfelder, deren Status als äußerst prekär gelten muss, was aus der heutigen Perspektive leicht in Vergessenheit geraten kann, stehen Themen eben dieser Teilbereiche doch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und erfreuen sich großer Beliebtheit in Ausstellungen, Museen und den Medien. Sie erscheinen dadurch fest verankert, was sich bei einem genaueren Blick auf die akademische Landschaft allerdings als oberflächliche Täuschung erweist.

Der Historismus des 19. Jahrhunderts schied die Zeitgeschichte von vornherein aus dem Spektrum der Arbeitsfelder aus, unter Hinweis auf eine angeblich unbefriedigende Quellenlage und vor allem eine mangelnde Distanz zum Gegenstand der Untersuchung. Jüdische Kapitel kamen in den klassischen, politikgeschichtlich orientierten und national zugeschnittenen Geschichten auf Grund des Status als verstreut lebender Minderheit ohne Staat ebenfalls nicht vor. Der „Wissenschaft des Judentums“, die parallel zur Emanzipation von Wissenschaftlern jüdischer Identität initiiert wurde, blieb die Anerkennung an den Universitäten vorenthalten. Der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts bedeutete auch für Bildung und Wissenschaften die Nationalisierung, eine Situation die sich zum Ersten Weltkrieg hin stetig verschärfte. Internationalität war natürlich vorhanden, aber vor allem als Forum für die nationale Selbstdarstellung von Interesse, weitaus weniger als ein Raum für wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Die Zeitgeschichtsforschung nahm einen ersten Aufschwung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, mit den Bemühungen deutscher Historiker zur Widerlegung der im Versailler Vertrag festgeschriebenen These von der deutschen Alleinschuld am Ausbruch des Kriegs. Zeitgeschichte war damit ein nationales Unternehmen, weit entfernt von einem kritischen Wissenschaftsverständnis, wie es uns heute - gerade für die Zeitgeschichte - selbstverständlich erscheint. Die Entwicklung der „Wissenschaft des Judentums“ in Deutschland, die sich in der Weimarer Republik zaghaft an den Universitäten zu etablieren begann, wurde jäh durch die nationalsozialistische Machtübernahme unterbrochen. Im „Dritten Reich“ gingen allerdings nicht-jüdische deutsche Wissenschaftler daran, eine antijüdische Wissenschaft zu konstituieren, die sich aus explizit antisemitischer Perspektive mit jüdischer Geschichte und Kultur beschäftigte. Auf Grund ihres Interesses an historischen Lösungsversuchen der antisemitisch konstruierten „Judenfrage“, als vorbildhaft verstanden, wurde von den Tätern eine Art affirmativer Antisemitismus- und Holocaustforschung ins Werk zu setzen versucht. Entsprechend der NS-Rassenlehre wurden jedoch nicht nur die Gegenstände geisteswissenschaftlicher Forschung biologisiert und rassisiert, sondern auch die Forschungspraxis selbst: Wissenschaftler, die der nationalsozialistischen Definition nach als jüdisch galten, waren von vornherein ausgeschlossen. Wurde dies schon durch die antijüdische Gesetzgebung und Verfolgungspolitik des NS-Systems gewährleistet, so wurde doch zusätzlich wissenschaftlich zu argumentieren versucht, dass sie nicht objektiv über die eigene Geschichte forschen könnten.

Nach dem Krieg, als die nationalsozialistischen Massenverbrechen zum Kristallisationspunkt einer neuen Zeitgeschichtsforschung wurden, wurden jüdische und nicht-deutsche Historiker, die sich früh mit umfangreichen wissenschaftlichen Darstellungen und Dokumentationen zu Wort meldeten, aus den einschlägigen Institutionen, der deutschen Öffentlichkeit und vom deutschen Buchmarkt fernzuhalten versucht. Internationale Zusammenarbeit, die uns heute selbstverständlich erscheint, hat sich auf diesen Forschungsfeldern erst langsam durchgesetzt. Themen jüdischer Geschichte - und damit auch der „Holocaust“ - blieben noch lange ghettoisiert.

Auch wenn die akademischen Landschaften immer noch weitgehend national strukturiert sind, stellen Zusammenarbeit und Austausch über die nationalen Grenzen hinweg heute nicht mehr nur ein luxuriöses Surplus für die Arbeit in den Geistes- und Kulturwissenschaften dar. Es geht dabei auch nicht ausschließlich um die Gewinnung und Auswertung von Material in internationalen Archiven, wie es tatsächlich in den Holocaust Studies notwendig ist. Vielmehr ist internationale Zusammenarbeit, anders noch als in den Natur- und Biowissenschaften, von essentieller Bedeutung für die Geistes- und Kulturwissenschaften, um andere Zugänge, Perspektiven, Methoden und Themen kennenzulernen und dadurch die Kontingenz der eigenen Zugänge, Perspektiven, Methoden und Themenwahl nicht aus dem Blick zu verlieren. Obwohl durch die neuen Kommunikationstechniken der Globus zum Dorf geworden zu sein scheint, sind Ortswechsel und lokale Distanzen weiterhin unabdingbare Voraussetzungen dafür und zumindest immer ein Gewinn und Vorteil. Erfahrungen in unterschiedlichen Forschungsumgebungen sind zu Recht ein wichtiger Bestandteil der akademischen Arbeit. Allesamt zwingen sie zur Reflexion über die eigene Arbeit und Perspektive, ihre Implikationen, Abhängigkeiten, Begrenzungen und Blindstellen. Gerade darin besteht ihre besondere Herausforderung.

Wenn heute Nachkommen von Opfern und Tätern bei der Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus, seiner Enteignungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik zusammenarbeiten, so ist das keinesfalls so selbstverständlich, wie es uns gerne erscheint - vor allem, wenn wir an internationalen Konferenzen teilnehmen oder uns zu Forschungszwecken im Ausland aufhalten, vielleicht sogar an Institutionen, die vornehmlich der Einladung ausländischer/internationaler Wissenschaftler gewidmet sind. Internationaler Austausch und Zusammenarbeit über die historischen Grenzziehungen hinweg sind notwendig, um eben diese historischen Oppositionen, an deren Herstellung und Vermittlung die Geistes- und Kulturwissenschaften wesentlich beteiligt waren und die eben zu den Verbrechen, deren Untersuchung heute ihre besondere Herausforderung darstellt, geführt und sie überhaupt erst ermöglicht haben, zu überwinden - nicht in dem Sinne einer Einebnung und Homogenisierung, sondern einer Form der Selbstreflexion, die integraler und zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit ist und nicht nur als lästige Pflichtübung am Rande betrieben wird.

 

 

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Begegnungen mit Überlebenden aus einer anderen Perspektive

Beitrag von Betsy Anthony

 

 

Es fällt mir schwer, über meine Erfahrungen mit Gedenkdienstleistende zu sprechen bzw. darüber nachzudenken, ohne den Begriff „Familie“ im weitesten Sinne des Wortes, unerwähnt zu lassen. Dies liegt nicht nur daran, dass mein Mann ein ehemaliger Gedenkdienstleistender ist, oder dass ich eine Reihe von Holocaust-Überlebenden so zu sagen als Großeltern „adoptiert“ habe. Es liegt viel mehr daran, dass mein Gedenkdiener-Ehemann ebenfalls von meinen Holocaust-Überlebenden „adoptiert“ wurde. Sie sehen ihn als Mitglied der Familie.

Meine biologischen Großeltern starben noch, bevor ich alt genug war, sie als Menschen mit Erfahrung schätzen zu lernen. Als mir dies bewusst wurde, merkte ich erst, was mir dadurch entgangen war. Es war allerdings zu spät: Etwas Unersetzliches war bereits verloren gegangen. Ich suchte eine Verbindung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, wollte wissen, woher ich kam, aber sie alle starben relativ früh und ich hatte nie die Chance, sie etwas zu fragen, bzw. von ihnen zu lernen.

Doch zum Glück wurde ich von 72 jüdischen Holocaust-Überlebenden im USHMM adoptiert. Ich begann 1999 mit ihnen zu arbeiten, und kurz darauf waren wir wie eine Familie.

 

 

 

 

Es spielte nie eine Rolle, dass ich keine Jüdin war, dies gab ihnen eher mehr Anlass, mir noch mehr zu erzählen. Es bereitete ihnen große Freude, mit mir gemeinsam den Sabbat oder das Passahfest zu feiern, und mir dabei geduldig jedes einzelne Gebet und Ritual manchmal öfter als einmal, zu erklären.

Sie zeigten mir, wie wir alle miteinander verbunden sind, und ihre Lebensgeschichten gaben meinem Leben neuen Inhalt und neue Struktur.

Ich nenne inzwischen sehr viele von ihnen „Oma“ und „Opa“ und ich sehe und fühle, dass wir uns alle sehr nahe stehen und eng verbunden sind.

Natürlich war meine Tätigkeit am USHMM viel mehr als nur einfach „Arbeit“. Wie ich bereits erwähnt habe, die Holocaust-Überlebenden wurden zu meiner Familie. Ich wollte mit ihnen zusammen sein, von ihnen lernen und an sie wie an meine Großeltern Fragen stellen.

Ich war in der glücklichen Lage, Programme, Gedenkfeiern und sogar Parties für sie veranstalten zu dürfen. Ich half ihnen, Orte zu finden, an denen sie ihre Geschichten mitteilen konnten, was für Holocaust-Überlebende von größter Bedeutung ist. Sie wollen uns allen mitteilen, was ihnen und den verlorenen Mitgliedern ihrer Familie zugestoßen ist. Sie tragen eine sehr schwere Last an Verantwortung und werden immer wieder mit Bildern aus der Vergangenheit gequält und erschüttert. Ich wollte ihnen zumindest ein bisschen dabei helfen, diese schwere Last zu tragen.

Bei ihrer Bereitschaft sich mit zu teilen, konnte ich auch beobachten, dass sehr viele Holocaust-Überlebende nach dem „Guten“ in dieser Welt Ausschau hielten. Viele hatten einen offenen Umgang und Geduld bei der Arbeit mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hintergrunds. Sie arbeiteten mit afro-amerikanischen Teenagern und Friedensgruppen, die israelische und palästinensische Jugendliche zusammenbrachten. Sie sprachen zu politischen Verantwortlichen, zu Pastoren und Priestern. Sie trafen sich sogar mit anderen Genozid-Opfern und tauschten sich mit diesen aus.

Eine Gruppe von Menschen, zu denen es für sie jedoch etwas schwieriger war und ist, engen Kontakt aufzubauen sind jedoch Österreicher und Deutsche. Dies hatte viele unterschiedliche Gründe. Einerseits scheuten viele den Kontakt, anderseits aber ist es oft auch nur ein Mangel an Gelegenheiten diese zu begegnen, denn es gibt wesentlich mehr amerikanische Familien und Schüler unter den Besuchern des Museums als deutschsprachige. Einige Deutsche und Österreicher kommen aber doch und manche Überlebende suchen den Kontakt zu Menschen aus dem Deutschland und dem Österreich von heute: Sie kehren in ihre Heimatstädte zurück und nehmen Einladungen der jeweiligen Regierungen an, die sie vor so vielen Jahren aus dem Land verjagten und vertrieben - oder gar noch Schlimmeres mit ihnen taten. Bei diesen Gelegenheiten und Einladungen dürfte es nicht zu sehr nahen Begegnungen gekommen sein, und ich habe mehrere Holocaust-Überlebende gesehen, die an Erinnerungen an diesen netten Österreicher hingen, den sie im Urlaub trafen, oder die aufmerksamen und zuvorkommenden deutschen SchülerInnen, deren Bekanntschaft sie bei Gedenkveranstaltungen und internationalen Programmen machten.

Dies sind bemerkenswert großzügige Aussagen nach solch oberflächlichen Treffen. Wenn aber die wenigen, wirklich wertvollen Gespräche stattfanden hatte ich meistens die Gelegenheit dabei zu sein und konnte dann einer  wirklich  bedeutungsvollen Begegnung beiwohnen. Zweifellos lernen junge Deutsche und Österreicher aus dem Kontakt mit Holocaust-Überlebenden sehr viel, aber ich weiß auch, dass solche Gespräche auch für die Holocaust-Überlebenden selbst von unschätzbarem Wert sind.

Mein Zugang zum Thema Holocaust Erinnerungsarbeit begann vor über 10 Jahren als  Teil eines Austauschprogramms („the International Summer Program on the Holocaust“) in dem junge Amerikaner und Deutsche, die sich intensiv mit  dem Holocaust und dessen Auswirkung in der heutigen Gesellschaft und ihren Familien auseinander setzten.

Ich bin Sozialarbeiterin und fand danach auch beruflich einen Weg, meine Kompetenzen dazu zu verwenden, Holocaust-Überlebende und deren Familien im Umgang mit ihrer schmerzvollen Vergangenheit zu unterstützen. Es war gewissermaßen unvermeidbar, dass sich diese beiden parallelen Interessen früher oder später überschnitten. Ich hatte diese besondere Tiefenwirksamkeit dieser speziellen Begegnungen bereits bei  früheren Begegnungsprojekten erfahren und  miterlebt, als die Enkelkinder von Nazis und Holocaustopfern einander trafen miteinander mehr Gemeinsamkeiten als  Unterschiede entdeckten. Mein Interesse steigerte sich auch, als ich so viele Holocaust-Überlebende immer näher kennen lernte und mir bewusst wurde, dass auch sie den Wunsch nach Begegnung und Dialog hatten.

So schien es nur natürlich, dass, als ich einen dynamischen und enthusiastischen Gedenkdienstleistenden traf, ihn einzuladen um mit den Holocaust-Überlebenden über seine Arbeit und den Verein Gedenkdienst zu sprechen. Ich dachte, dass es nun für meine Großeltern Zeit war, ein Enkelkind eines Nazis zu treffen.

Was sich daraus entwickelte, ist eine sehr ungewöhnliche Geschichte.

Als Roland mit den Holocaust-Überlebenden über seine Arbeit für Gedenkdienst sprach und ihnen von seiner Familiengeschichte erzählte, hörten sie ihm gespannt und dankbar zu. Es schien, als hätten sie nur auf ein Eingeständnis gewartet, dass diese Dinge auch in Österreich passiert waren. Sie wollten es aus dem Mund eines Österreichers hören, dass sich diese Dinge ereignet hatten, und dass Österreicher sehr aktiv daran beteiligt gewesen waren. Natürlich wusste jeder, dass es stimmte, aber sie wollten es von jemandem hören, von dem sie annahmen, er würde diese Beteiligung leugnen. Diskussionen und Bilder über Haider und rechtsradikale Politik in Österreich waren 2001 noch frisch in ihren Köpfen und die Holocaust-Überlebenden dürften sich gefragt haben, ob sie das, was sie von einem Österreicher zu hören bekamen, ertragen konnten.

Als Roland die Arbeit von Gedenkdienst beschrieb, schienen sie diese Anerkennung zu erhalten. Er ging eigentlich noch einen Schritt weiter und erzählte von seiner Familiengeschichte und erklärte ehrlich seinen Blickwinkel, aus dem er diese Geschichte sah und erlebte.

Die meisten seiner Zuhörer waren bereit, sich anzuhören, was sein Großvater während der Zeit des Nationalsozialismus getan hatte, und schätzten auch Rolands Offenheit. Natürlich war er sich auch der Bilder bewusst, die seine Geschichte für Außenstehende mit sich brachte. Anfangs war er besorgt, dass sein stereotypes Aussehen, die hellblondes Haar und die graublauen Augen mehr ausdrücken würden als seine Worte. Er bemerkte, wenn einige Überlebende, die ihn  das erste Mal sahen, bei seinem Anblick innehielt. Ich glaube, er war positiv überrascht, als er erfuhr, dass dies nur eine erste, emotionale Reaktion war.

Diese äußerst zuvorkommenden Menschen schienen offenbar tief in ihrem Inneren dafür zu kämpfen, dass ihr intellektuelles Verständnis die Oberhand gewinnen würde, aber es war keineswegs leicht für sie. Sie wussten ganz genau, dass man Menschen nicht nach ihrem Aussehen und ihrer Herkunft beurteilen sollte. Glücklicherweise nahm sich Roland viel  Zeit, mit ihnen zu sprechen und sie  genauer kennen zu lernen, und die Bande, die er zwischen ihm und den Holocaust-Überlebenden knüpfte und die Freundschaft, die im folgenden Jahr daraus entstand, waren stark und einzigartig.

Die Holocaust-Überlebenden schienen alle daran interessiert zu sein, auch privat mit Roland zusammenzukommen, mit ihm zu reden und einander an Geschichten teilhaben zu lassen. Sie suchten nicht nach Entschuldigungen, und er konnte diese nicht geben. Sie trafen sich auch nicht mit Roland, um  auf einer kollektiven oder individuellen Ebene „zu vergeben“. Sie sahen sich nicht unbedingt als diejenigen, die zu vergeben hatten. Indem sich beide Seiten auf diese Weise akzeptierten, schritten sie aus verschiedenen Perspektiven auf diesem Weg der gemeinsamen Geschichte voran. Es waren keine gegensätzlichen Perspektiven - es waren wirklich gemeinsame.

Ich lernte Roland zur selben Zeit kennen wie meine „Großeltern“ und wir verliebten uns praktisch sofort ineinander, aber durch unsere Befürchtungen und Ängste darüber, wie man diese Neuigkeiten aufnehmen würde, hielten wir  unsere Beziehung anfangs noch geheim. Wir hatten keine Angst davor, wie meine „Großeltern“ die Holocaust-Überlebenden, auf diese Nachricht reagieren würden, aber eine gewisse Besorgnis war trotzdem da. Wir wollten nicht missverstanden werden und auch nicht missverstehen.

Und genau zu diesem Zeitpunkt versuchten sie, uns miteinander zu verkuppeln!

Als 30-jährige Frau immer noch Singel zu sein, war für sie ein Rätsel.

„Sie ist hübsch ..., sie ist nett ..., warum ist sie nicht verheiratet?“

Wir haben endlose Gespräche darüber geführt, die Holocaust-Überlebenden standen mir als meine „Großeltern“ mit Rat und Weisheit zur Seite - manchmal vielleicht mit etwas antiquierter „Schtetl-Weisheit“ - aber nichtsdestotrotz mit tiefer Freundschaft und Fürsorge.

Womit ich nicht gerechnet hatte, war ein Holocaust-Überlebender, der mir schlicht sagte:

„Betsy, ich kenne einen großartigen jungen Mann und ich finde, du solltest ihn auch näher kennen lernen.“

Unser erster „Verkuppler“ arbeitete mit Roland donnerstags als freiwilliger Mitarbeiter am Auskunftspult des Museums zusammen. An diesem Tag führten sie ihre Gespräche auf Deutsch, so dass Pete sein eingerostetes Deutsch verbessern konnte. Als mir dann noch eine weitere „Großmama“ erzählte, dass „ wenn sie nur 40 Jahre jünger wäre ...“, wusste ich, dass es nicht nur kein Problem darstellte, dass ihre „Enkeltochter“ mit einem Österreicher ausging, sie warteten geradezu darauf.

Bis heute glauben einige meiner „Großeltern“ immer noch, dass sie uns zusammengebracht haben. Vielleicht waren es nicht ihre Weisheiten und Ratschläge, die schlussendlich dazu führten, aber diese haben uns bestimmt bestärkt. Sie gaben uns zusätzlich noch ein unermessliches Maß an Liebe und Anerkennung, nach der wir uns tatsächlich auch sehnten. Erstaunlicherweise schien, als ob niemand stolzer und glücklicher darüber sein könnte, dass ihre „Adoptiv-Enkeltochter“ in einen Österreicher verliebt war,  als diese 72 freiwilligen Großmütter und Großväter.

Die Holocaust-Überlebenden begleiteten uns durch die ganze erste Zeit unserer noch jungen Beziehung. An keinem anderen Arbeitsplatz als im USHMM wäre diese Form von Beziehung in diesem Kontext nicht nur stillschweigend geduldet, sondern auch noch bestärkt worden. Während seiner Dienstzeit in Washington, DC hatte Roland auch Kontakt zur dortigen Israelitischen Kultusgemeinde und dem jüdischen Theater. Er war gemeinsam mit zwei Holocaust-Überlebenden bei diversen Podiumsveranstaltungen und sie sprachen über ihre Interaktionen darüber, was es für ihn bedeutete, mit KZ-Überlebenden im offenen Dialog zusammenzusein. Und diese wiederum  sprachen darüber, wie wichtig es einfach war, einen Österreicher zu treffen, der den Holocaust-Überlebenden sagte: „Ja, diese Dinge sind passiert, wir fühlen uns verantwortlich und so  war der Umgang  einer typisch österreichischen Familie mit diesem Thema.“

Auf unserer Hochzeit waren die Hälfte der Gäste Jüdinnen und Juden. Meine lebendigste Erinnerung habe ich an den Tanz der Hava Negila, um den mich „meine“ Überlebenden nachdrücklich gebeten hatten. Jede von ihnen wollte die Erste sein, die Roland in die Mitte des Kreises nahm, und bald befanden wir uns beide in der Mitte und tanzten mit unseren Holocaust-Überlebenden. Plötzlich wurden auch Stühle in die Mitte getragen, ein ungewöhnliches Bild, ausgerechnet eine nicht jüdischen Frau und ihr frisch angeheirateter österreichischer Ehemann wurden auf diesen hochgehoben und über den Schultern der Kinder von Holocaust-Überlebenden und jüdischen Freunden - ganz zu schweigen von den Schultern meiner katholischen und (und manchen leider auch oft erzkonservativen christlichen Verwandten ) getragen.

Ein jüdischer Freund gab uns ein Taschentuch und erklärte, was wir damit zu tun hätten, und „ ... mir keine Sorgen zu machen, sie lassen dich schon nicht fallen!“

Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, wie es ist, wortwörtlich auf den Schultern von Freunden getragen zu werden und sich im Kreis von Holocaust-Überlebenden zu befinden, die allesamt deine Hochzeit feiern.

 

Ich bin mir darüber im Klaren, dass unser Beispiel ein sehr ungewöhnliches ist, aber es zeigt die verbindende Kraft dessen, was man durch einfaches Zusammenkommen, Zeitverbringen und Miteinanderreden am selben Ort erreichen kann.

 

 

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III. Die Gedenkdiener haben viele Freunde

 

 

Gedanken zum Weltfrieden - ein Dialog über Jugend und Politik mit Regina und Gene

 

Noch vor meinem Dienstantritt hat mich mein Vorgänger Christoph darauf angesprochen, dass uns Regina und Gene zu einem Wochenendausflug in ihr Haus im Shenandoah Valley, einladen möchten. So lernten wir uns zum ersten Mal kennen. Regina und Gene waren die ersten Freunde, die ich außerhalb des Museums kennengelernt habe...

 

 

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Regina Lowy Espenshade wurde 1943 in Providence als Tochter jüdischer Immigranten geboren. Ihre Eltern verloren alles, als sie vor dem Zweiten Weltkrieg Österreich verlassen mussten.

Regina wuchs in Olneyville, Providence, auf, machte 1964 ihren Abschluss in Politikwissenschaften und entwickelte sich zu einer internationalen Friedenserhalterin und Wahlbeobachterin. Obwohl sie schon seit vielen Jahren in Washington DC lebt, hat sie nie vergessen, wer sie ist und woher sie kommt. „Die Erinnerungen sind noch zu lebendig“ - hat sie mir oft erklärt.

Reginas Eltern hatten ein Geschäft in einer kleinen österreichischen Ortschaft im Burgenland, bis sie von den Nazis 1938 gezwungen wurden, Österreich zu verlassen. Als sie 1939 mit ihrer Tochter, Reginas Schwester, nach New York auswanderten, sprachen sie kein Wort Englisch und kannten niemanden. Da es in Providence bessere Chancen auf einen Job gab, zogen sie dorthin. Reginas Vater fand Arbeit in einer Schiffsfabrik und ihre Mutter nahm einen Job als Putzfrau im Rhode Island-Krankenhaus an.

Während ihrer gesamten Schullaufbahn in South Providence wurde sie von Lehrern und Freiwilligen im Nickerson Settlement House unterstützt, die größte Motivation erhielt sie aber von ihren Eltern:

„Meine Eltern waren müde, frustriert und sprachen kein Wort Englisch, als sie hier ankamen. Aber dennoch gaben sie mir das Gefühl, dass ich alles erreichen könnte, wenn ich es nur wollte.“

„Ich war seit meiner Schulzeit eine Idealistin.“ Sie bezeichnet sich auch selbst als „Troublemakerin“. Als Schülerin war sie in einem Diskussionsforum, als Studentin protestierte sie gegen den Vietnamkrieg und als Praktikantin war sie 1961, 1962 und 1963 in Washington DC.

„Ich war im August 1963 für den Marsch für die Bürgerrechte dort, als Martin Luther King Jr. seine berühmte Rede hielt. Ich nahm mir den Aufruf JFKs zu Herzen, nicht zu fragen, was dein Land für dich tun kann... Ich war so begeistert. Das waren damals aufregende Zeiten in Washington.“

Nachdem sie ihre Doktorarbeit über die politischen Maßnahmen zur Bildung des Ministeriums für sozialen Wohnungsbau und städtische Entwicklung, Department of Housing and Urban Development (HUD), geschrieben hatte, zog Regina nach Washington DC, um für das neue HUD zu arbeiten. „Es gab damals außergewöhnliche Chancen für mich.“, sagt Regina, die ihre ersten 8 Jahre bei HUD an Anti-Armutsprogrammen als kometenhaften Aufstieg bezeichnet. In den 70er Jahren widmete sie sich bei HUD dem städtischen Wiederaufbau, indem sie an der Wiederbelebung des Time Square in New York City und anderen Projekten arbeitete.

1980 ließ sie sich nach Israel versetzen, wo sie an dem Wiederaufbau Jerusalems mitarbeitete, Hebräisch lernte und in der ganzen Stadt Freunde gewann und wichtige Kontakte knüpfte. Als sie wieder in Washington war, halfen ihr diese Kontakte 1993 bei der Aufstellung einer Einsatzgruppe aus Amerikanern, Israelis und Palästinensern, die nach dem Friedensabkommen von Oslo in West Bank und im Gaza Häuser errichten sollte.

1994 verließ Regina HUD und widmete sich wieder ihren Studien. Sie studierte Politik des Mittleren Ostens, lernte Arabisch und erhielt 1996 von der John Hopkins University’s School of Advanced International Studies den Master’s of International Public Policy. Sie trat der Gruppe Peace Now bei und sah ihre Aufgabe darin, den Frieden zwischen Israel und Palästina zu fördern.

1999 erlebte Regina eine große Überraschung. Bei einem Besuch ihrer Schwester in der Heimatstadt ihrer Eltern in Österreich sah sie, dass das Wahrzeichen der Stadt, das Schloss, inzwischen der Sitz des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung war. Die Konvergenzen durch die Geschichte ihrer Familie und ihrer eigenen Ausbildung waren zu stark, als dass sie hätte widerstehen können: Regina schrieb sich in das Studienzentrum ein und machte dort die Ausbildung zur Friedenserhalterin, durch welche sie ihre heutige Tätigkeit als internationale Wahlbeobachterin ausüben kann.

Im Oktober 2003 war Regina Mitglied einer Gruppe von Wahlbeobachtern, die beauftragt wurde, die angeblich demokratischen Wahlen im einst kommunistischen Azerbaijan zu überwachen. Trotz durchsichtiger Wahlurnen und überwachter Stimmenauszählung blieben die Kommunisten an der Macht. Die Opposition sprach von Wahlbetrug. Regina und ihr Team verließen entmutigt das Land, waren aber auch voller Hoffnung, dass es nach ausreichend überwachten Wahlen vielleicht eines Tages auch wirklich demokratische Wahlen in Azerbaijan geben würde.

Während ihres Aufenthalts in Österreich nahm Regina die Gelegenheit wahr, ein Treffen aller Juden zu organisieren, deren Familien aus der Gegend stammten. Es war eine Chance für alle Nachkommen der einstigen Verbrecher und die Familien der Opfer, sich genau auf dem Land zu umarmen, auf dem sie einst friedlich nebeneinander lebten. „Es war ein außergewöhnliches Zusammentreffen und eine großartige Erfahrung. Ich lernte neue Bekannte aus der ganzen Welt kennen und Menschen, die auf der Hochzeit meiner Eltern waren (der letzten Hochzeit, die jemals in der Synagoge stattfand), und Leute, die sich noch an den Laden meines Großvaters und seine Gewohnheit, Süßigkeiten an Kinder zu verschenken, erinnerten.“

Mit demselben Elan plant Regina die Errichtung eines Lernzentrums, das der Genozidforschung und den Studien zur ethnischen Säuberung dient. Dieses Zentrum soll im selben Gebäude wie das Friedensinstitut untergebracht werden. Ich habe Regina versprochen, sie bei dieser außergewöhnlichen Initiative, soweit es mir möglich ist, zu unterstützen.

Darüber hinaus ist Regina in der Umgebung von Washington DC im Boys & Girls Club aktiv, indem sie dort beim Fundraising und Tutoring für ein neues Gebäude hilft.

„Ich mache das wegen der Unterstützung, die ich einst vom Nickerson House erhalten habe. Ich bin dazu verpflichtet. Das ist meine Chance, Dankbarkeit zu zeigen.

Ich bin sehr glücklich - meine Träume sind wahr geworden. Das ist das Schöne an diesem Land. Jemand kann mit Ideen und Einfallsreichtum hier herkommen und etwas verändern.“

 

 

***

 

 

...Der gemeinsame Ausflug nach Blue Ridge in Virginia war ein großartiges Erlebnis und eine sehr gute Gelegenheit, um die ländlichen Gegenden der USA zu erleben.

 Wir sind über die Interstate Autobahn 66 in Richtung Süden gefahren und dann auf den von grünen Weiden umgebenen Bundesstraßen abgebogen. Nach mehreren Farmen fuhren wir auch an einer Handwerkerstätte von Amisch-Familien vorbei. Die Amisch-Kultur ist eine evangelische Freikirche, deren Mitglieder sich dem einfachen Leben gewidmet haben.

Das Country-Haus, das viele meiner Vorgänger kennen, liegt auf großer Höhe in einem Wald, von wo sich ein wunderschöner Blick auf das Tal öffnet. Reginas Freund Gene machte uns auf die vor dem Haus hinterlassenen Spuren von Bären und Rehen aufmerksam. Ja, diese Gegend war noch sehr unberührt und wir verbrachten ein angenehmes gemeinsames Wochenende. Für Christoph war dieser Ausflug ein gelungener Abschluss seiner Dienstzeit in Washington DC.

Mit Regina und Gene haben wir eine Reihe gemeinsamer Diskussionsthemen gefunden und während der vierzehn Monate auch sehr viel gemeinsam unternommen:

Da ich schon einige Wochen vor meinem offiziellen Dienstantritt in Washington anreiste, konnte ich den amerikanischen Nationalfeiertag auch im Jahr 2004 mitfeiern. Gemeinsam mit meinem Vorgänger Christoph wurden wir von Regina und Gene, ganz traditionell, auf eine Spareribs-Jambalaya-Gartenparty eingeladen. Dort lernten wir auch Reginas und Genes zahlreiche Freunde kennen, unter denen auch einige Zeitzeugen aus Italien waren, und eine Dame aus Österreich, die im Cafe Mozart in Washington Torten nach österreichischem Rezept zubereitet. Sie alle wollten selbstverständlich mehr über unsere Gedenkdienstarbeit erfahren und begrüßten diese österreichische Initiative.

 

 

 

 

Im Jahr darauf feierten wir zum zweiten Mal den Tag der amerikanischen Unabhängigkeit, mittlerweile traditionell bei Regina und Gene. An diesem Tag wurde auch mein Nachfolger Christian geboren, leider konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Washington sein, um mit uns mitzufeiern. Auf dem Weg zu Genes Haus, das auf der anderen Seite der Mall gelegen war, stieß ich auf ein kleines Abenteuer: Ich hatte neben den anderen Leckereien, die ich für diesen besonderen Anlass zubereitet hatte, auch zwei Flaschen Wein eingepackt und war zu Fuß unterwegs.

An der riesigen Mall war man seit dem frühen Nachmittag mit Sicherheitskontrollen für den großen Tag beschäftigt. Das bedeutete, dass jeder, der über die grüne Wiese der riesigen Parkanlage spazieren wollte, angehalten und auf den Inhalt seiner Taschen überprüft wurde. Als der Beamte einen Blick in meinen Rucksack warf, sagte er kopfschüttelnd: „Alkoholverbot“. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich die Mall nur überquerte und nicht vorhatte, in der Parkanlage zu bleiben und Alkohol zu trinken. Doch vergebens. Ich war gezwungen, die Flaschen entweder dort zurückzulassen oder umzukehren. Ich entschied mich für letzteres, denn ich wollte mir auf keinen Fall den Wein wegnehmen lassen. Ich fand die Alternative, eine Station mit der U-Bahn zu fahren, um auf die andere Seite der Stadt zu gelangen.

Reginas und Genes Gäste, die aus aller Welt gekommen waren, warteten schon alle auf mich. Ich hatte mich durch den Umweg zwar reichlich verspätet, den guten Tropfen hatte ich jedoch gerettet.

 

 

 

 

***

 

 

 

Thanksgiving entspricht unserem Erntedankfest und findet jedes Jahr am 4. Donnerstag im November statt. Thanksgiving ist einer der am breitesten gefeierten Familienfeste in den USA, dem Menschen aus den verschiedensten Religionen beiwohnen. An diesem Tag steht die Stadt still. Ich wurde von Regina und Gene eingeladen, und nachdem auch ich einige Häppchen für das Festmahl zubereitet hatte, begab ich mich auf den Weg. Ich ging über die 15. Straße zur Mall hinunter und entlang der Museen und Ministerien über die Independence Avenue entlang. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich weit und breit der einzige Fußgänger war. Die Stadt war wie leergefegt.

Es war später Nachmittag und jeder Bürger schien schon seinen Platz am Festtagstisch eingenommen zu haben. Ich ging am neuen American Indian Museum vorbei und bog am Verwaltungsgebäude der Voice of America in Richtung Süd-Osten ab.

Am 21. Januar wurde ich hier zu einem  Interview eingeladen, um über meine Tätigkeit und über das Österreich von heute zu sprechen. Das Gespräch, das im Tonstudio beinahe eine Dreiviertelstunde dauerte, wurde von der Journalistin Zlatica S. Hoke zusammengefasst:

 

Der siebenundzwanzig Jährige Betriebswirt, Stefan Stoev, ist zu Zeit als Zivildiener am Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. tätig. Eine seiner Aufgaben ist die Kontaktaufnahme zu österreichischen Holocaustüberlebenden und Juden die aus Nazi Österreich flüchteten. Die einen empfingen ihm offenherzig, sagt er, andere wiederum zeigten ihm die kalte Schulter.

"Ich habe mich mit vielen von ihnen getroffen und sie alle haben verschiedene Ansichten auf Österreich von heute. Sie sind ehemalige Österreicher und die Vergangenheit die sie mit Österreich verbinden ist, wie Sie sich vorstellen können, sehr bitter."

Nun, ist es Herrn Stoevs Ziel diese Menschen davon zu überzeugen, dass sein Land nicht das selbe ist, von dem sie vor 50 oder 60 Jahren geflüchtet sind. Sowie viele andere Österreicher glaubt Stefan Stoev, dass er es schaffen kann.[15]

 

Als ich mich schließlich in der Wohngegend befand, kam mir aus sämtlichen Häusern der Umgebung das verführerische Aroma des traditionellen gebratenen Truthahns entgegen.

Als ich endlich angekommen war, öffnete mir Gene die Tür und hinter ihm sah ich ihn auch schon: den reichlich gedeckten Tisch mit den unzähligen Köstlichkeiten darauf, die alle Freunde und Bekannten liebevoll für das Fest zubereitet hatten.

An diesem Tag feiern alle Menschen in Amerika, unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Kultur.

„Thanksgiving und der 4. Juli haben Bedeutung für uns alle“, erklärte mir Genes Nachbarin Dabby. Und tatsächlich saßen an unserem Tisch Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt zusammen: eine Familie aus Mexiko, eine aus Argentinien, Katie und ihr Freund aus Peru, drei amerikanische Familien aus der Nachbarschaft, zwei Schwestern aus Palästina, eine Freundin aus Israel, und ich als Repräsentant Österreichs. Während wir all diese leckeren Gerichte genossen, diskutierten wir in Vertretung unserer jeweiligen Kultur über soziale und politische Themen. Es war ein sehr interessanter Abend.

 

 

***

 

 

„Ich hab’ ihn gesehen, den Hitler, als er in Wien einmarschiert is’“

Zeitzeugengespräch mit Hedi Pope[16]

 

Hedi Pope ist seit 1993 als freiwillige Mitarbeiterin im Holocaust Memorial Museum in Washington tätig. Jeden Freitag arbeitet sie dort am Information Desk.

Als ich einmal an diesem Auskunftspult mit einem Besucher deutsch gesprochen habe, beteiligte sich plötzlich eine Dame im Hintergrund an unserem Gespräch. Auf diese Weise machte ich Hedis Bekanntschaft.

Sie ging auf mich zu und sagte: „Ich hab ihn gesehen, den Hitler, als er in Wien einmarschiert is’.“ Wir unterhielten uns kurz über Österreich, ihre Heimat Wien und das Projekt GEDENKDIENST.

Als ich sie an einem anderen Tag wiedersah, vereinbarten wir, uns für ein gemeinsames Gespräch zu treffen.

 

Hedi Pope, geborene Politzer, wurde am 18. März 1920 geboren. Sie lebte mit ihrer Familie in Wien VII, Stiftgasse 6, und ging in der Langegasse ins Gymnasium, wo sie im Juni 1938 maturierte. Nach dem Einmarsch Hitlers beschlossen ihre Eltern, dass Hedi und ihre Schwester zu ihren Verwandten in die USA ausreisen sollten. Zu dieser Zeit hatte man als Österreicher noch keine Probleme, ein Visum zu bekommen. Die USA wiesen Immigranten Quota-Nummern zu und forderten zur Einwanderung Affidavits.

 

„Die Kinder sollen gehen, wir bleiben da“

 

Am 11. Januar 1939 verließen Hedi und ihre Schwester Wien.

Sie hatten einen Pass, und versuchten nun, in die USA auszureisen. Ihre Eltern blieben vorübergehend in Österreich zurück.

Hedi und ihre Schwester kamen am 27. Januar 1939 an Bord der Veendam  in New York City an. Sie zogen zunächst zu ihren Cousinen nach New Jersey, danach ging’s für Hedi weiter nach New York.

„Ich wollte gleich nach New York, denn das war besser, alle versuchten damals, so schnell wie möglich nach New York zu gehen.“

 

„Es wird schon nix passieren“

 

Hedis Mutter, Mitzi Politzer, blieb in ihrer Wohnung in der Stiftgasse.

„Arme Mutter. Es war damals so, dass man die Zimmer einer Wohnung ausfüllen musste. Sobald ein Zimmer frei war, rissen es sich die Nazis unter den Nagel und die gesamte Familie musste das Haus verlassen.“ So zogen ihre Schwester und ihr Schwager zu ihr in den 7. Bezirk. Alle drei reisten später gemeinsam in die USA aus.

Hedis Vater, Oskar Politzer, wurde in der Reichskristallnacht festgenommen und nach Dachau gebracht. Dort erkrankte er schwer und starb im Januar 1939, während seine beiden Töchter auf dem Weg nach New York waren. Seine Korrespondenz aus diesen sechs Wochen in Dachau ist im Besitz des Holocaust-Museums.

Hedis Eltern und Großeltern waren jüdisch, Hedi selbst ist keine praktizierende Jüdin. Ihre Großeltern waren Geschäftsleute in Wien. Ihre Großeltern mütterlicherseits führten auf der Kärtnerstraße unter dem Namen C.H. Berger das Geschäft Die englische Flotte. Der Großvater väterlicherseits, Ludwig Politzer, hatte eine Gold- und Silberwarenfabrik in der Pagagenogasse 4 im 6. Wiener Gemeindebezirk.

 

„I can dance and speak“

 

Hedi hatte seit ihrem fünften Lebensjahr bei Marie Trimmel, „Frau Luca“, Elinor Tordis, Hedy Pfundmayr und Grete Wiesenthal Tanzunterricht genommen. Pfundmayr choreographierte damals im Burgtheater neben Weihnachtsproduktionen für Kinder auch Tänze für Shakespeare-Stücke und Werke Raimunds und Molières. Hedi hatte bereits in Wien unter der Regie von Walter Reisch mit Pfundmayr im Film Silhouetten und in Otto Werbergs Tanzbrettl mitgewirkt. Kurz vor ihrer Ankunft in New York waren auch die ehemaligen Mitglieder des Kabaretts Literatur am Naschmarkt in die USA immigriert und hatten sich am Broadway niedergelassen. Auf Empfehlung von Andreas Singer, der Pfundmayrs Pianist war, wurde sie von Herbert Berghof, dem Direktor der Gruppe, eingeladen, vorzutanzen und vorzusprechen. Dort bewarb sie sich mit den Worten: „I can dance and speak.“

„Ich musste noch ein bissl meine Aussprache verbessern und wurde schlussendlich angeheuert.“

Das Kabarett wurde vom The Refugee Artists Group unterstützt und bestand auch aus Mitgliedern der amerikanischen Theater- und Musikwelt. Man versuchte tatkräftig, am Broadway die Eröffnung des Musicals From Vienna umzusetzen. Das Material dafür stammte größtenteils aus übersetzten Skizzen, nach denen das Stück auf der Kleinkunstbühne in Wien erfolgreich aufgeführt worden war.

„Während der Probewochen verdienten wir 15 Dollar pro Woche, was durchaus zum Leben reichte. Nach der Premiere am 20. Juni 1939 erhielten wir alle 40 Dollar als Gehalt. Die Kritiken waren sehr gut, und wir waren überglücklich, wieder auf einer Bühne stehen zu dürfen ...

Die politische Lage in Europa wurde aber immer drohender, und mit dem Anfang des Krieges am 1. September 1939 kam das Ende des Musicals From Vienna im Music Box Theater am Broadway.“

Eine Rückkehr nach Europa war danach für Hedi zu gefährlich, so bewarb sie sich mithilfe des International Student Service um ein College-Stipendium.

„Im August erhielt ich einen Brief von der Miami University in Oxford, Ohio, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich ein Stipendium erhalten hätte. Ich habe dort drei sehr erfolgreiche Jahre verbracht und erwarb im Juni 1942 meinen Abschluss als Bachelor of Science. Ich machte dann noch auf dem Wellesley-College in Massachusetts meinen Masters. Mein Hauptfach war Physical Education, Modern Dance und Gymnastik. Danach habe ich drei Jahre auf dem Converse College in South Carolina Modern Dance und einige Sportfächer unterrichtet und machte Choreographien für verschiedenste Veranstaltungen, wie zum Beispiel MayDay, eine Veranstaltung für die ganze Stadt und Umgebung.“

Im Juni 1946 heiratete Hedi ihren Mann William C., der im Krieg im Südpazifik gegen die japanischen Truppen gekämpft hatte. Seit dieser Zeit leben die beiden in der Nähe von Washington, haben zwei erwachsene Kinder und ein Enkelkind. 1958 besuchten Hedi und ihre Familie erstmals wieder Österreich. Es ist aber nicht bei diesem einen Besuch geblieben, denn seither haben sie neben anderen Ländern auch ihre alte Heimat viele Male besucht.

Von 1947 bis 1980 führte Hedi Pope The Dance Studio in Alexandria, Virginia, wo jährlich durchschnittlich 250 Schüler aller Altersgruppen unterrichtet wurden.

1983 erhielt sie in Anerkennung ihrer Arbeit den Preis für Outstanding Achievement in the Cultural Affairs and the Arts.

Im Mai 2002 wurde Hedi auf Initiative der Tanz- und Theaterhistorikerin Dr. Andrea Amort und Dr. George Jackson in die Alte Schmiede eingeladen, um dort im Rahmen des Projekts „Exil und Wiederkehr“ über ihr Tanzstudium in den 20er und 30er Jahren und die Fortsetzung ihres Berufs in den Staaten zu sprechen. Da Hedi die Tanzkunst in beiden Welten mitverfolgt und gelebt hatte, stieß dieser Vortrag über ihre Erfahrungen und Erinnerungen auf ganz besonderes Interesse.

Im Juni 2002 veranstaltete Dr. Ursula Seeber, Direktorin der Exilbibliothek, eine Ausstellung zur Erinnerung an Schauspieler, Musiker, Tänzer und Kabarettkünstler, die nach dem März 1938 nach Amerika emigrierten. Bei dieser Gelegenheit hielt Hedi eine kurze Rede. Regina Thumser und Christian Kloesch schrieben über diese Ausstellung das Buch „From Vienna“.

Einige von Hedis alten Kabarett- und Schauspielkollegen schafften auch den ganz großen Durchbruch. Walter Reisch wurde als Drehbuchautor in Hollywood erfolgreich; Fred Hennings als Kammerschauspieler, Kunst- und Kulturhistoriker; John Banner ging zum Film und wurde als Feldwebel Schultz in der Serie Hogan’s Heroes berühmt; und Elisabeth Neumann machte als Fräulein Schneider in Cabaret Karriere.

 

„Ich hab’ ja keine Häftlingsnummer am Arm“

 

Als ich mich am Schluss für das Gespräch bedankte, meinte Hedi nur abwegig:

„Schön, dass du die Gelegenheit wahrnimmst, uns noch viele Dinge zu fragen, solange wir noch alle hier sind und diese Dinge erzählen können. Ich weiß auch gar nicht, warum du mich überhaupt gefragt hast. Meine Geschichte ist ja nicht so aufregend. Ich hab’ ja keine Häftlingsnummer am Arm, man hat uns ja NUR aus unserer Heimat hinausgeworfen.“

Dieser letzte Satz löste bei mir plötzlich eine Frage aus:

Was ist eigentlich ein Zeitzeuge? Wie leichtfertig wir doch diesen Begriff verwenden, ohne wirklich dessen Inhalt bzw. dessen Definition zu hinterfragen. Hätte ich nicht dasselbe Gespräch auch mit meiner Großmutter führen können? Verstehen wir unter einem Zeitzeugen wirklich nur das, was uns der Begriff sagt, nämlich den Zeugen einer bestimmten Zeit? Oder muss dieser Mensch für uns nicht doch gewisse Kriterien erfüllen, um für uns zum Zeitzeugen zu werden, wie z. B. die Anforderung einer schrecklich interessanten, möglichst grauenhaften Geschichte oder einer tätowierten Nummer? Hat die Frage überhaupt Berechtigung?

Ich weiß noch gut, dass mich diese Frage nach diesem Gespräch nicht zum ersten Mal beschäftigt hat.

 

 

 

***

 

 

Das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs - Das Lebenswerk von Robert Bauer

 Zu Tee bei Maria Bauer

 

 

Die interessante Geschichte beginnt mit einem Leserbrief und Einladung zum Tee bei Frau Maria Bauer.

Bei der Aussendung der der Gedenkdienstzeitung legte ich einen Brief bei, um mich einerseits bei den Lesern vorzustellen und ihnen dabei die Möglichkeit zu geben, um jemandem innerhalb der USA zurückschreiben zu können. Unter den vielen Lesebriefen war auch der von Frau Bauer. Meine Vorgänger hatte sie nicht gekannt. Sie lud mich zum Tee ein und so kamen wir dann zum ersten Mal zusammen.

Dieses Treffen erwies sich als eine Reise durch Raum und Zeit. Frau Bauer erzählte mir über die Umstände und schicksalhaften Ereignisse im Zusammenhang mit der Flucht aus Österreich, über die lange Fahrt nach Amerika und über die Zeit nach dem Krieg und die diplomatische Karriere von Robert Bauer.

Nach meiner Rückkehr nach Österreich habe ich Frau Bauer angeschrieben, um sie über mein Buchvorhaben zu informieren. Sie hat die Idee sehr begrüsst und mir folgendes zu zurückgeschrieben:

 

„Lieber Herr Stoev,

 

Ich glaube wie Sie hier waren war ich schon mit der Katalisierung der Schriften meines Mannes um die mich die Eisenhower Presidential Library bat beschäftigt. Bevor ich noch damit fertig war, wurde ein Voice of America Museum in Cincinnati gegründet und ich bekam dasselbe Ansuchen dem Museum Dokumente meines Mannes zu senden, da er vor Pearl Harbor an der Station WLWO in Cincinnati die ersten Kurzwellensendungen in deutscher Sprache sandte. Bei Ausbruch des Krieges übernahm die Regierung die Sender der Station und das war der Anfang der Voice of America. So stehen jetzt die historischen Fakten der Karriere meines Mannes Historikern und Autoren zur Verfügung.

 

Die privaten Details unserer Jugend, unserer Flucht und Emigration sind in meinem Buch "Beyond the Chestnut Trees" beschrieben, welches Sie vielleicht schon von Herrn Url erhalten haben. Es wurde im Jahre l984 veröffentlicht und daher ist Robert Bauer's späteres Leben, seine Tätigkeit in der Stimme Amerika's und seine Jahre als amerikanischer Diplomat (in Iran, Paris, Kairo und New Delhi) kaum erwähnt. (Das Buch ist noch immer in Buchhandlungen hier und am Internet zu haben.)

 

Nachdem er in den Ruhestand trat begann er eine neue Karriere als Universitätsprofessor in Kenyon College, Ohio und an der American University in Washington. In der Zeit veröffentlichte er "The Austrian Solution", "The Interaction of Economics and Foreign Policy" und "The United States in World Affairs." Der Verleger der 3 Antologien war die University Press of Virginia. Er begann auch seine Autobiographie zu schreiben, die er "Nine Rivers - A Political Autobiography" nannte, nie beendete  aber eine Zusammenfassung hinterließ, in der er kurz seine politischen Aktivitäten in den Ländern in denen er nach seiner Emigration lebte, erwähnt.

 

Am 9. September 1976 beurkundigte die Präsidentschaftskanzlei, dass der Bundespräsident der Republik Österreich mit Entschließung vom 5. Feber Herrn Professor Robert Bauer, das große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen hat und am 22. September verlieh ihm der Bundespräsident das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs.

 

Ich habe keine Ahnung welches und wieviel Material sie verwenden möchten. Sollten Sie sich für Weiteres interessieren, wobei ich Ihn helfen könnte, bitte schreiben Sie es mir. Am 24 Mai werde ich nach Europa reisen und ab 6. Juni wieder in Washington sein.

 

Viel Glück mit Ihrer interessanten Arbeit und ich werde mich freuen wieder von Ihnen zu hören.

 

Mit herzlichen Grüßen

Maria Bauer“

 

 

 

 

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Zu Besuch bei Melita Rodeck

 

„Ich kenne alle deine Vorgänger“, sagte Frau Rodeck zu mir, als ich ihr vorgestellt wurde. Vor über zehn Jahren erfuhr die Österreichemigrantin erstmals vom Projekt Gedenkdienst. Aus dieser Bekanntschaft hat sich nun eine langjährige Freundschaft entwickelt. Die 91jährige Melita, die vor zwei Jahren ihr Haus in Foggy Bottom aufgab und heute zurückgezogen im Saint Thomas Altenheim lebt, freut sich stets über den Besuch ihrer Freunde vom Gedenkdienst. Die Gedenkdiener unterstützen sie bei der Erledigung aller Notwendigkeiten, von Lebensmitteleinkäufen bis hin zu bürokratischen Angelegenheiten. Einmal, nachdem ich vom Lebensmittelladen zu ihr kam, und ihr Brot, Milch und ihre Lieblings-Muffins brachte, nahm sie mich bei der Hand und flüsterte mir ins Ohr: „Was würde ich nur ohne euch machen.“.

Melita Rodeck immigrierte 1939 nach New York. Zuvor hatte sie am polytechnischen Institut der Technischen Universität Wien studiert, konnte ihr Studium jedoch nicht abschließen. In New York arbeitete sie zunächst als Freiwillige in der Armengegend von Harlem.

Vier Jahre später zog sie nach Washington DC, um für die Verwaltung der amerikanischen Regierung zu arbeiten. Nach Abschluss der Lizenzprüfung zur Architektin begann sie als selbstständige Unternehmerin mit Architekturbüros  zusammenzuarbeiten, bis sie schließlich 1958 ihre eigenes Büro eröffnete.

 

 

 

 

Nun blickt Melita Rodeck auf sechs Jahrzehnte als erfolgreiche Architektin für die Regierung der Vereinigten Staaten zurück.

 

 

 

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‚Wir fangen besser an zu packen’

Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen Wiener Medizinstudenten Charles Stein[17]

 

 

Charles Stein arbeitet seit vielen Jahren als freiwilliger Mitarbeiter am Holocaust-Museum in Washington. Durch meine liebe Bekannte und Freundin Hedi Pope hatte ich die Ehre, seine Bekanntschaft zu machen und wurde auch gleich von ihm zu einem Gespräch eingeladen. Hier ist seine Geschichte:

 

Charles befindet sich gerade im zweiten Semester seines Medizinstudiums in Wien, als er dieses am 11. März 1938 abrupt abbrechen muss.

Während einer Vorlesung am Institut bemerkt er bereits, dass im Land eine Veränderung vor sich geht: Die Hörsäle sind voller Studenten, die Nazischleifen tragen, und einige von ihnen haben sogar Waffen bei sich.

Nach der Vorlesung muss Charles mit ansehen, wie ein schreiender Mob von Nazis einen jungen Mann durch die Straßen hetzt, der sich schließlich in einen Keller in der Nähe des Instituts retten kann.

 

Charles ist auch dabei, als Hitler in Österreich einmarschiert:

 

„Meine Eltern warnten mich noch inständig: ‚Geh nicht hin!’ Ich sah, wie die jubelnde Menge ihrem Führer ‚Sieg Heil!’ zuschrie. Daraufhin bin ich sofort zu meiner Familie zurück und teilte allen mit: ‚Wir fangen besser an zu packen!’

 

Wir trafen uns in den Straßen zum Informationsaustausch. Dort war man am sichersten. Einmal traf ich mich mit einem Freund Ende Juli 1938 in der Kärtnerstraße. Angeblich wurde bereits nach ihm gesucht. Er erzählte mir von der Möglichkeit eines ‚stateless passports’, durch den man über Luxemburg in ein anderes Land fliehen konnte.

Ich wusste, dass ich aufgrund meiner Familiengeschichte die Chance hatte, als ‚staatenloser Bürger’ anerkannt zu werden und durch diesen Status ausreisen konnte.

Meine Eltern stammten nämlich ursprünglich aus dem Kaiserreich Rumänien. Die Familie meines Vaters kam 1898 nach Wien. Mein Vater kämpfte im I. Weltkrieg für Österreich und war ein wirklicher Patriot. 1919 kam ein Gesetz heraus, nach dem sich alle Menschen, die nicht im neuen Österreich geboren waren, nur um die Staatsbürgerschaft ansuchen mussten, um diese zu erhalten.  Mein Vater dachte aber, dass dies für seine Familie ohne Belang wäre. Schließlich lief die Frist für eine Bewerbung ab und unsere Familie war offiziell staatenlos. Dies wusste ich nicht. Als ich auf der Uni meinen so genannten Heimatschein herzeigen sollte, konnte ich diesen natürlich nicht aufweisen und erhielt den Status ‚Ausländer’.

Dieser Ausweis für Staatenlose rettete mir mehrere Male das Leben, denn ich war nun offiziell Ausländer und blieb verschont:

Einmal war ein SS-Mann bei meiner Cousine, die mit der Zahnbürste den Boden reiben musste. Der SS-Mann fragte nach meinem Ausweis, und als ich ihm durch diesen meine Staatenlosigkeit bescheinigte, schrie er nur: ‚Hau ab!’’

 

‚Es wird schon nix passieren’

 

Meine Eltern suchten um keinen Reisepass an. Sie waren der Meinung, es würde ihnen schon nichts passieren. Ich glaubte das nicht und begab mich zur Beantragung eines Visums ins „Konsulat Luxemburg“, das im Grunde ein schlichtes Apartment war. Die Beamtin dort fragte mich:

‚Was wollen Sie?’

Ich antwortete: ‚Einen Transitpass.’

‚Wohin wollen Sie?’

‚Nach Amerika.’

Wie erstaunt war ich, als die zuständige Beamtin mir prompt antwortete:

‚Kommen Sie morgen für das Visum vorbei.’

Nach 24 Stunden Wartezeit erhielt ich durch das Konsulat mein Visum.

 

Ich sehe noch meine Eltern vor mir, als ich mich vorübergehend von ihnen verabschieden wollte, um mich für meine Ausreise zum Westbahnhof zu begeben. Noch heute höre ich die letzten Worte meiner Mutter, die sie bei meiner Verabschiedung zu meinem Vater sagte, und die ich nie wieder vergessen werde:

 

‚Wir werden unseren Sohn nie wieder sehen’

 

Bedauerlicherweise sollte sie Recht behalten.

 

An der Grenze nach Luxemburg wurde unser Zug von der SA mit dem Befehl ‚Juden raus!’ angehalten. Ich wurde zum Verhör in einen Raum gebracht, wo ein deutscher Mann auf mich wartete. Ich erinnere mich, dass ich meine Violine bei mir hatte. Mein Gepäck wurde untersucht, ich bekam mein OK und durfte für die Weiterreise zum Zug zurück.

Als ich mich auf dem Weg zurück zum Zug befand, erlebte ich die größte Überraschung meines Lebens:

Der Deutsche, der noch Minuten zuvor mit mir im Vernehmungsraum gesessen hatte, sagte mir:

‚Ich wünsche Ihnen viel Glück.’

Dies von einem Deutschen zu jener Zeit zu hören, war wirklich unglaublich.

 

Als mein Freund Max und ich endlich in Luxemburg ankamen, hatten wir nicht die geringste Ahnung, wohin wir eigentlich gehen sollten.

Plötzlich sah Max ein bekanntes Gesicht:

‚Was machst du denn hier?’

Wir trafen doch tatsächlich Max’ alten Freund in Luxemburg wieder. Von ihm erfuhren wir, dass die jüdische Organisation ESRA 200 Leuten bei der Ausreise geholfen hatte.“

 

Die jüdische Organisation ESRA kümmerte sich nicht nur um die Visa, sondern auch um den Legalisierungsprozess und die Verpflegung bzw. Unterkunft der Neuankömmlinge. Auch die Bevölkerung bot den Flüchtlingen häufig Unterkunft an.

 

Charles teilte sich ein Zimmer mit drei weiteren Kollegen und schlief auf dem Boden:

„Da es ja nicht möglich war, in Luxemburg sofort Arbeit zu finden, hieß es für uns am Anfang, sich mit Hilfsarbeiten, wie Kirschen brocken und Häuser streichen, durchzuschlagen.“

 

‚Möchtest du nicht bei uns mitspielen?’

 

„Ich konnte ja recht gut Englisch, es war fließend. Immer wieder fragte man mich später, wo ich denn so gut Englisch gelernt und warum ich keinen Akzent hätte. Meine Antwort war immer dieselbe:

Ich hatte großartige Lehrer. Ich lernte es im ersten Bezirk in Wien: Im Kino. Durch Edward G. Robinson und Fred Astaire ...

 

Durch ESRA lernte ich drei Musiker kennen, die in einem nahe gelegenen Restaurant als Band auftraten. Musiker hatten ja die Erlaubnis, zu arbeiten, denn diese kamen ohnehin immer aus dem Ausland. So nahm ich meine Violine und spielte bei ihnen vor, woraufhin sie mich prompt fragten:

‚Möchtest du nicht bei uns mitspielen?’

Meine Antwort lag auf der Hand.

 

In der Zwischenzeit erreichten uns aber auch die furchtbaren Nachrichten über die Reichskristallnacht 1938. Die Sorge um meine Eltern wuchs. Ich kannte jemanden, der Leute über die Grenze schmuggelte. Durch ihn war ich schließlich in der Lage, 1939 Kontakt zu meinen Eltern aufzunehmen. Wir entwickelten eine eigene Codesprache, durch die wir kommunizierten und alle Vorbereitungen für ihre Ausreise trafen. Meine Eltern sollten über eine Brücke durch den Wald ihre Flucht antreten können. Doch sie wurden aufgehalten, konnten kein Ausreisevisum vorweisen und durften somit auch nicht nach Luxemburg auswandern.

Ich versuchte verzweifelt, Kontakt zu meiner Familie aufzunehmen, um mich darüber zu informieren, was denn vorgefallen sei.

 

‚Wir sind wieder zuhause’

 

Zwei Wochen später erhielt ich eine Postkarte von der Wohnadresse meiner Eltern in der Margarethenstrasse mit den Worten ‚Wir sind wieder zuhause’ darauf.

Als ob dies alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, verloren sie auch noch ihre Wohnung in Wien und mussten zu anderen Leuten ziehen. Ich machte einen Cousin meiner Mutter in Amerika ausfindig und ging zur amerikanischen Botschaft in Antwerpen, um für mich ein Visum zu beantragen. Ich erhielt auch ein OK. Aber das war erst der Anfang des bürokratischen Spießrutenlaufs:

Immer wieder wurden neue Dokumente über unsere Verwandten aus New York angefordert. Irgendwann 1939 wurden die angeblich letzten Papiere eingefordert. Doch dann brach der Krieg aus, und wir waren alle mitten drin.

Ich war damals Chorsänger in der Synagoge, und als ich dorthin kam, teilte mir der Chorleiter mit, er hätte einen Brief für mich in seinem Haus. Ich war nämlich vorher umgezogen, deshalb lag keine Adresse mehr von mir vor und meine Briefe wurden direkt zu ihm geschickt.

Wir gingen zu ihm in die Wohnung und seine Frau fand einen Brief, der an mich adressiert war, versteckt hinter Kaffeetassen. In dem Schreiben vom September 1939 wurde ich aufgefordert, mich zur Botschaft zu begeben, um mein Visum abzuholen. Zwei Monate später, am 18. Dezember 1939, kam ich in New York an.

Im Oktober 1941 erhielt ich eine Postkarte meiner Eltern, auf der sie mir mitteilten, dass sie nach Litzmannstadt deportiert würden. Das war das letzte Mal, das ich von Ihnen hörte.“

 

50 Jahre später findet Charles in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Archive im Holocaust-Museum in Washington deutsche Unterlagen aus Polen, die darauf schließen ließen, dass seine Eltern im Logbuch Volume IV verzeichnet sein dürften.

Durch diese Aufzeichnungen erfährt Charles nach so langer Zeit die traurige Wahrheit:

Seine Eltern wurden am 28. Februar 1942 im Zuge der Aktion T7 in Lkws vergast, der Rest seiner Familie wurde nach Auschwitz geschickt und kam dort um.

 

In den USA arbeitet Charles Stein anfangs in einer Textilfabrik für 14 Dollar die Woche. Nach sechs Monaten wird die Fabrik aber geschlossen. Charles sucht weiterhin nach einer Möglichkeit, sein Medizinstudium zu beenden.

Im September 1941 erhält er zwei Briefe, die direkt an ihn adressiert sind:

In einem wird ihm ein Stipendium an einer Universität in South Carolina angeboten. Voraussetzung ist jedoch, Chemie zu studieren.

Im zweiten Brief steht: „Your friends and neighbors have selected you fort he Army.“

Charles trifft eine Entscheidung und geht zur Army. Zwei Monate später erfolgt der Angriff auf Pearl Harbor. 

Am 12. August 1942 wird Charles amerikanischer Staatsbürger; 1943 wird er Leutnant der Artillerie. Im selben Jahr wird er wegen seiner Sprachkenntnisse und seines europäischen Hintergrunds vom Militär aus zur Abwehr nach Washington DC berufen. Am 7. Juni landet er in der Normandie.

Durch die russische Besetzung Wiens ist es ihm auch nicht möglich, seine alte Heimat sofort nach dem Krieg zu besuchen.

 

Charles verfolgt weiterhin das Ziel, sein Medizinstudium zu beenden und sucht für Stipendien an. Ihm wird zwar die Möglichkeit eines Studiums in Zürich und Basel zugesprochen, hierzu fehlen aber die notwendigen Geldmittel. Nach einem gescheiterten Versuch in der Exportbranche bekommt er 1948 ein Schreiben aus dem Pentagon, in dem er aufgefordert wird, doch mit den Behörden Kontakt aufzunehmen.

 

So geht Charles zurück zur Army und wird einen Monat später Chef der Übersetzungsabteilung. 1951 wird er für über ein Jahr nach Korea geschickt. Zwischen 1966 und seiner Pensionierung 1978 arbeitet er als Diplomat für das US State Department.

 

Im Oktober 1973 besucht Charles erstmals wieder seine alte Heimat Wien.

 

Ich danke Charles Stein dafür, dass er sich die Zeit genommen hat, mir geduldig seine so spannende wie traurige Geschichte zu erzählen, und uns dadurch an einem weiteren Schicksal eines Holocaustopfers teilnehmen lässt.

 


 

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„Ich wollte nach Europa geschickt werden, um mich am Kampf gegen die Nazis zu beteiligen.“

Zeitzeugengespräch mit Gerald Schwab[18]

 

 

Gerald Schwab ist seit mehreren Jahren als Freiwilliger Mitarbeiter in der Historikerabteilung am USHMM in Washington tätig. Auf diesem Wege hatte ich auch die Ehre, seine Bekanntschaft zu machen. Gerry, wie seine Freunde und Kollegen ihn nennen, wurde 1925 in Freiburg im Breisgau in Deutschland unter dem Namen Gerd geboren.

Als ihm 1944 bei seinem Naturalisationsprozess in den USA seine Armeepapiere ausgestellt wurden, ließ er seinen Vornamen auf Gerald ändern. Gemeinsam mit seiner Familie, die aus Breisach am Rhein stammt, zog er im Jahr 1933 für kurze Zeit nach Basel. Sein Vater war von Beruf Kaufmann und in mehreren Ländern tätig. Gerds Familie lebte dann eine Zeitlang in Frankreich, in der Kleinstadt Saint Louis (St. Ludwig), an der Schweizer Grenze, wo der junge Gerd zur Schule ging, bis die Familie Mitte 1935 wieder zurück nach Deutschland, in die Stadt Lörrach, zog.

Nach den Schrecken der Reichskristallnacht erklärte sich die Schweiz bereit, 300 Kinder aufzunehmen. Die deutsche Reichsregierung hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Einwände gegen die Ausreise von Kindern, und so wurde Gerd im April 1939 im Alter von 14 Jahren zu einer Bauerngastfamilie in die Schweiz geschickt. Das darauffolgende Jahr verbrachte er in Mönchaltdorf und in Hütten ob Wädenswil am Züricher See. Seine Eltern durften weder aus Deutschland ausreisen noch in die Schweiz einreisen und blieben somit in Lörrach zurück. Die Familie blieb während dieser Zeit im ständigen Kontakt. Ein Jahr später, im Mai 1940, kehrte Gerd nach Deutschland zurück, um für die Familie die Ausreise aus Europa vorzubereiten: Am 10. Mai, am Tag des Angriffs auf Holland und Belgien, wurde seine Familie vom amerikanischen Konsulat in Stuttgart aufgefordert, ihre Einwanderungspapiere abzuholen. Noch in der darauffolgenden Woche trat die Familie in der Hoffnung, aus der Unsicherheit zu flüchten, ihre Ausreise nach Amerika an. Die lange Reise erfolgte auf dem Dampfer George Washington, und führte von Genua nach New York in die Vereinigten Staaten. Einen Monat später wäre dies bereits nicht mehr möglich gewesen, zumal sich auch Italien als Alliierter des Deutschen Reichs dem Krieg angeschlossen hatte. Nach einem kurzen Aufenthalt in New York zog die Emigrantenfamilie nach Long Branch in New Jersey. Dort arbeitete Gerrys Vater zu Beginn als Chauffeur und Gärtner und Gerrys Mutter als Hausangestellte für eine wohlhabende Familie. Im August 1941 konnte die Familie durch ein Darlehen, das ihr die Jüdische Landwirtschaftsgemeinschaft (Jewish Agricultural Society) gewährte, eine Hühnerfarm erwerben. Auch während seiner Schulzeit musste Gerry auf dieser Farm mithelfen.

Anfang 1944 ging Gerald Schwab freiwillig zum Militär und, nachdem er einen dreizehnwöchigen Vorbereitungskurs in Florida absolviert hatte, wurde er als Infanterist zurück nach Europa geschickt, und zwar nach Italien.

„Die Ausbildung in Florida war hart, denn es war nicht in dem Teil von Florida, den du aus den Ferien kennst...das militärische Trainingslager war im Norden situiert, in einer Gegend wo es hauptsächlich Sand, Sümpfe und Schlangen gab...nach der Ausbildung hatte ich zwei Möglichkeiten: die Division im Pazifik oder die Kampftruppe in Europa...“ Gerry versinkt für einen Augenblick im Gedanken und fährt dann fort. „Ich wollte nach Europa geschickt werden, um mich am Kampf gegen die Nazis zu beteiligen.“ Lächelnd fügt er hinzu: „... der Grund wie es dazu kam, war interessant. Es war eine Voraussetzung für alle Soldaten, die eine Brille trugen, auch eine Ersatzbrille bei sich zu haben, und damals war es nicht so einfach wie heute, eine Brille zu bekommen. Ich musste auf meine zweite Brille warten und wurde deshalb nicht mit der Einheit, mit der ich gemeinsam ausgebildet worden war, entsendet. Die Truppe wurde nach Frankreich geschickt und war an der Ardennes-Schlacht, der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs, beteiligt. Ich kam dann zwei Wochen nach meinen Kameraden, im November 1944, nach Neapel, anschließend nach Caserta und von dort aus in den Norden zur zehnten Gebirgsdivision, die übrigens die einzige amerikanische Gebirgsdivision war. Vor kurzem wurde ich gefragt: ‚Was haben Sie am 8. Mai 1945, am Tag des offiziellen Kriegsendes, gemacht?’ Die Antwort ist einfach: Ich habe geschlafen. Denn zu diesem Zeitpunkt war für unsere Einheit der Krieg in Europa bereits seit einigen Tagen zu Ende. Wir waren müde und glaubten, dass wir in Kürze in den Pazifik versetzt würden. Meine Kameraden wurden in die Vereinigten Staaten zurückverschifft, um von dort aus in den Fernen Osten versetzt zu werden. Und ich wurde dem Hauptquartier der Fünften Armee zugewiesen, da sie einen Dolmetscher und Übersetzer brauchten. Das Hauptquartier war an der Gardone Riviera am Gardasee, wo ich dann für die nächsten zwei Monate tätig war. Dann wurde ich in Gmunden, Österreich, für den Nachrichtendienst eingesetzt, und im Mai 1946 habe ich mich in Wien offiziell von der Armee abgemeldet.“

Nach Kriegsende war Gerry für ein weiteres Jahr in Deutschland tätig: Zunächst sechs Monate als Dolmetscher und Übersetzer beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg und dann weitere sechs Monate als Forschungsanalytiker in Berlin, wo er im Auftrag des Justizministeriums an der Vorbereitung der Dokumentationen für die Nürnberger Prozesse arbeitete. Während dieser Zeit hatte er auch Zugang zu den Akten der Reichskristallnacht. Viele Jahre später verwendete er die daraus gewonnenen Erkenntnisse für ein Buch. Danach reiste Gerald zurück in die Vereinigten Staaten und besuchte dort die Universität. Da er aufgrund der zuvor genannten Umstände keinen Highschool-Abschluss hatte, immatrikulierte er an der Chicago Universität, da diese die einzige große Universität in den USA war, die eine Zulassung ohne den Highschool-Abschluss ermöglichte. Dort studierte er drei Jahre, auf die ein Studienjahr an der Stanford Universität in Kalifornien und ein weiteres Studienjahr an der George Washington Universität in DC folgten.

Nach seinem Abschluss im Jahr 1951 arbeitete Gerald Schwab zunächst im öffentlichen Dienst und dann im Außendienst des State Departments der amerikanischen Regierung. Von 1955 bis 1957 war er für den amerikanischen Außendienst in Wien tätig. Im Anschluss daran war er in vielen Ländern, darunter Togo und Sierra Leone, in diplomatischer Mission unterwegs. Heute lebt Gerry in Alexandria und unterstützt unsere Abteilung bei verschiedenen Forschungsaufgaben.

 

 


 

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Die Nürnberger Prozesse[19]

 

 

 

Anlässlich dieses sechzigsten Jahrestages der Nürnberger Prozesse hat auch das United States Holocaust Memorial Museum in Washington dieser Thematik eine eigene Ausstellung gewidmet. Die Besucher können hier durch das Originalfilmmaterial den Hauptverhandlungen beiwohnen und die Originalprogrammhefte, Anwesenheitslisten und Eintrittskarten zur Verhandlung besichtigen. Ein Ausstellungsstück von ganz außergewöhnlichem Wert sind die Originalkopfhörer von Hans Frank, durch die er seine Dolmetschung empfangen konnte. Darüber hinaus wird durch einen Plan des Originalgerichtssaales die Sitzordnung der Angeklagten, Richter und Dolmetscher veranschaulicht.

 

Einer dieser Dolmetscher für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg war „Gery“ - Gerald Schwab.

Er wurde in Deutschland geboren und musste 1940 mit seiner Familie nach New Jersey in die USA flüchten. Er kämpfte im Krieg gegen die Nazis und wurde aufgrund seiner Kenntnis der deutschen Sprache zunächst für den Nachrichtendienst und schließlich als Dolmetscher in Nürnberg eingesetzt.

 

Um gegen die nationalsozialistischen Organisationen Beweismaterial für die Verhandlungen zu sammeln, wurde eigens eine Kommission gebildet, deren Aufgabe darin bestand, über 100 Personen zu befragen und aus diesen „Hearings“ oder Vorbereitungsgesprächen wertvolle Information für die Prozessführung zu gewinnen.

Aus diesem Grund wurden einzelne, der Mittäterschaft beschuldigte Nazis vor diese Kommission geladen, um dort ihre Aussage zu tätigen.

 

In dieser Kommission herrschte - wie auch am Gerichtshof selbst - ein enormer Mangel an Dolmetschern. Der Großteil der in den Vor- und Hauptverhandlungen eingesetzten Sprachmittler waren einzig wegen ihrer Sprachkompetenz eingestellt worden. Keiner von ihnen brachte juristisches Vorwissen mit, die meisten hatten lediglich Maturaniveau in ihren Sprachen und arbeiteten das erste Mal in ihrem Leben als Dolmetscher. Es gab zwar eigene Übungsrunden für Simultandolmetscher, für Konsekutivdolmetscher waren aber keine besonderen Vorkenntnisse erforderlich.

 

Gerald Schwab arbeitete mit seinen 21 Jahren als Konsekutivdolmetscher in diesen eher informellen Hearings, in denen ausschließlich mit den Sprachen Englisch und Deutsch und in beide Richtungen gearbeitet wurde. Seine Englischkenntnisse stammten aus der Schulzeit und seinem Leben in den USA. Er dolmetschte Beschuldigte wie Albert Kesselring, den Oberbefehlshaber über Italien und das Mittelmeer, Helmuth Knochen, den Kommandanten der Sicherheitspolizei in Frankreich, und weitere Stabschefs und Reichsleiter. Er erinnert sich gut daran, dass er versuchte, auch als Simultandolmetscher zu arbeiten, leider aber an den schwierigen Anforderungen scheiterte.

Sehr oft musste während der Hearings unterbrochen werden, da der Beschuldigte einfach viel zu schnell sprach und die Gesprächsdolmetscher nicht folgen konnten.

So erinnert sich Schwab an eine Verhandlung mit Generalfeldmarschall und Oberbefehlshaber Gerd von Rundstedt:

„Er sprach zehn Minuten durch und das mit unglaublicher Geschwindigkeit. Das war für uns viel zu lange. Wir mussten das Gespräch unterbrechen, da wir nicht in der Lage waren, eine Dolmetschung durchzuführen. So bat der Kommissionsleiter von Rundstedt, seine Ausführungen zu wiederholen. Wie erstaunt waren wir, als von Rundstedt beim zweiten Durchgang die exakt selbe Rede im selben Wortlaut hielt wie beim ersten Mal, nur diesmal eben aufgeteilt in zwei Abschnitte zu je fünf Minuten.“

 

„Please explain!“

 

Obwohl Schwab durch seine Militärzeit ein gutes Fundament an Militärterminologie mitbrachte, denkt er heute noch mit Entsetzen daran zurück, wie schwierig es war, entsprechende englische Übersetzungen für deutsche Titel und Ränge zu finden:

„Ich hatte ja nur sechs Jahre Englisch gelernt. So war ich gezwungen, besonders bei spezieller NS-Terminologie zu unterbrechen und nachzufragen: ‚Please explain!’

Ich erinnere mich an den Begriff Wehrsport, den ich ins Englische zu übertragen hatte. Aber dafür hatten wir im Englischen keinen Ausdruck. So versuchte ich, den Begriff mit military sports zu übersetzen. Plötzlich war im Verhandlungsraum zu hören: ‚Einspruch! Falsche Übersetzung!’ Dieser Einwand kam vom Verteidiger der SA. Daraufhin musste die Verhandlung für längere Zeit unterbrochen werden und eine hitzige Debatte war die Folge.“

 

Auch Hermann Göring versuchte sich bei einem Verhör durch Chefankläger Jackson auf einen Übersetzungsfehler auszureden:

Auf den Hinweis des Anklägers, er habe doch persönliche Anweisungen zur Endlösung gegeben, antwortete Göring:

„Diese [englische] Übersetzung ist in keinster Weise korrekt. Ich habe lediglich von einer Gesamtlösung der Judenfrage (total solution) [...] und nicht von einer Endlösung (final solution) gesprochen ...“

 

„Bitte langsamer!“

 

Simultan wurde einzig im Hauptgerichtssaal gearbeitet. Dort wurden während der Verhandlungen von 10 bis 16 Uhr zwei der drei Teams zu je 12 Dolmetschern eingesetzt. Verhandlungssprachen waren Englisch, Russisch, Französisch und Deutsch. Gedolmetscht wurde grundsätzlich in eine Richtung und nur eine gewisse Zeit. Gelegentlich versagten Dolmetscher oder waren überfordert bzw. erschöpft. Für diese Fälle stand das Ersatzteam in einem Raum nebenan bereit. Dessen Mitglieder beschwerten sich aber immer, dass sie ohne Vorbereitung in den Gerichtssaal geholt wurden und dort „ins kalte Wasser springen“ mussten. Aus diesem Grund wurde eine zweite Leitung vom Hauptgerichtssaal in den Nebenraum verlegt, durch die das Ersatzteam der Hauptverhandlung folgen konnte. Das dritte Team war nicht im Einsatz, denn eines der Hauptanliegen des Sprachendienstes bestand darin, den Dolmetschern ihre unbedingt notwendige Ruhepause zu gönnen.

Die Kontaktaufnahme mit dem Richter erfolgte über ein Zwei-Lampen-System: Während das gelbe Lämpchen ein „Bitte langsamer!“ signalisierte, bedeutete das rote „Bitte die Verhandlung kurz unterbrechen!“. Beide befanden sich auch direkt am Richterpult, und wenn Letzteres aufleuchtete, ließ der Richter die Verhandlung sofort unterbrechen, um z. B. den jeweiligen Dolmetscher austauschen zu lassen.  

Alle Dolmetschungen wurden nach einem Verhandlungstag am Abend mit den Originalreden verglichen. Etwaige Fehler wurden am nächsten Tag dem Gericht mitgeteilt und berichtigt. 

 

Für die Prozesse wurden in einem Jahr über 400 Dolmetscher aus verschiedensten Ländern getestet. Durch die nervliche Belastung und die furchtbare Thematik der Verhandlungen waren aber nur 5 %  für den Einsatz als Simultandolmetscher geeignet.

 

Auch Gerald Schwab erinnert sich daran, dass seine Kollegen beim Simultandolmetschen durch ihr fehlendes juristisches und militärisches Wissen - aber auch durch ihre mangelnde Dolmetscherfahrung - immer wieder an ihre Grenzen stießen:

„Das Problem meiner Kollegen beim Simultandolmetschen aus dem Deutschen bestand darin, dass im Deutschen das Verb nun einmal am Ende eines Satzes steht und es schwer vorauszusagen ist, ob nun eine Bejahung oder Verneinung folgt. Die Kollegen haben einfach geraten, und gelegentlich lagen sie falsch.

Ich erinnere mich an eine Dolmetschung aus dem Russischen, die ich mir einmal anhörte. Es war unglaublich, denn diese ergab überhaupt keinen Sinn. Es war einfach aneinander gereihtes Kauderwelsch. Es war weder Russisch noch Deutsch, geschweige denn Englisch. Der Dolmetscher musste durch einen anderen ersetzt werden. Die Gefahr, gefeuert zu werden, bestand ja nicht, da extremer Personalmangel herrschte.“

 

„Wir versuchten, fair zu sein“

 

Eine interessante Frage, die sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist, welches Recht die Angeklagten auf einen fairen Prozess hatten, und wie häufig Ankläger - aber auch Angeklagte - versuchten, den Prozess über die Dolmetscher zu beeinflussen.

Gerald Schwab erinnert sich ganz genau daran:

„Wir arbeiteten 45 Minuten, danach mussten wir eine Pause machen. Jeder Dolmetscher arbeitete einen halben Tag. Niemand versuchte, den Prozess zu beeinflussen. Auch wir nicht. Wir versuchten, fair zu sein.

Einmal saß ich während einer Pause neben Max Jüttner, dem stellvertretenden Stabschef der SA. Ich hatte ihn im Hearing gedolmetscht. Dort hatte er angegeben, dass in der Reichskristallnacht seine Aufgabe und die seiner Kollegen einzig darin bestanden hätte, jüdisches Eigentum und jüdische Synagogen zu schützen. Als er nun in dieser Pause neben mir saß, fing er plötzlich an, mit mir zu reden: ‚Sie sprechen aber gut Deutsch.’ Er fragte mich ununterbrochen zu meiner Herkunft aus und boxte mich leicht in die Schulter. Ich wollte und wollte auf keinen Fall auf seine Fragen reagieren. Doch irgendwann gab ich ihm dann doch Antwort: ‚Ich lernte Deutsch in Deutschland. Ich war auch dort in der Reichskristallnacht.’ Daraufhin schwieg er, denn nun wusste er, dass ich gesehen und erlebt hatte, was wirklich passiert war.

Ein anderes Mal saß ich neben Albert Kesselring. Ich war im Krieg nur ein kleiner Gefreiter gewesen und saß nun als Dolmetscher neben diesem großen General. Als ich ihm von meiner jüdischen Herkunft erzählte, meinte er nur: ‚Das muss jetzt ja eine Genugtuung für Sie sein, zu einem solchen Zeitpunkt hier zu sein.’ Ich antwortete ihm nur kurz: ‚Ja, Herr Generalfeldmarschall.’“

 

 

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Susanna und Felix Yokel - der lange Weg hat sie nach Washington verschlagen, doch ihre Herzen schlagen auch für Österreich[20]

 

 

 

 

Im Laufe meiner Dienstzeit in Washington ist mir die Familie Yokel ganz besonders ans Herz gewachsen. Zusammen mit Susanna und Felix und den Rest der großen Familie durfte ich verschiedene Feste feiern und viele schöne gemeinsame Momente in kostbarer Erinnerung behalten.

 

Am Samstag den 23. April wurde ich von Susanna und Felix eingeladen, um gemeinsam mit ihnen Pesach (Passover) zu feiern! In diesem Frühling sind mehrere Regenstürme über die Stadt gezogen, das viele Wasser kam sogar durch die Decke in meiner Wohnung das mir einige Kopfzerbrechen, verbunden mit den Reparaturarbeiten, bereitete. Mit der grünen Metrolinie fuhr ich nach Greenbelt, von wo mich Felix dann abholte, um gemeinsam zu Uris Haus zu fahren. Ich hatte das traditionelle Mazza[21] und Koscheren Wein mitgebracht. Die ganze Familie war eingeladen: die Tochter und die Enkelin aus Florida und der Sohn mit seiner Familie aus Ohio. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass auch ich an diesem traditionellen Familienfest teilnehmen durfte. Ich konnte an diesem Abend die Bräuche kennenlernen und mein Verständnis über die jüdische Kultur erweitern - es war ein großartiges Erlebnis.

Ich habe auch meinen Nachfolger Christian mit der Familie Yokel bekannt gemacht. Sie sind gute Freunde der Gedenkdiener in Washington seit mehreren Jahren und ich hoffe sehr, dass Susanna und Felix auch in Österreich zu Besuch kommen werden, denn der Abschied von ihnen fiel mir sehr schwer.

Laa an der Thaya, ist eine kleine Stadt an der Grenze zur Tschechischen Republik und ist etwa 50 Kilometer nördlich von Wien entfernt. Die Stadt beheimatet 4500 Bürger und ist die Heimatstadt vom Felix Yokel, der hier aufwuchs und bis zum Zeitpunkt des Anschlusses hier auch zur Schule ging.

Felix Yokel ist in der Nazizeit im April 1938 aus Laa an der Thaya, Österreich, vorerst nach Prag in die heutige Tschechische Republik ausgereist, wo er weiterhin zur Schule ging.

Von dort aus ist er 1939 mit einer Jugendgruppe nach Palästina zu einem Kibbuz[22] in Afiqim ins Jordantal ausgewandert. Susanna hatte sich in Wien derselben Jugendgruppe angeschlossen, und so lernten sie einander kennen.

Heute lebt die Familie Yokel in Bethesda im Bundesstaat Maryland, USA. Das Ehepaar ist schon seit mehreren Jahren mit den Gedenkdienern in Washington im Kontakt und begegnet diesen auch stets sehr offenherzig. Über die schwierige Zeit sprechen Susanna und Felix eher selten, lieber über die schönen Erinnerungen an Österreich und das heutige Kulturleben dort. Sie besuchen regelmäßig die zahlreichen Kulturveranstaltungen an der österreichischen Botschaft in Washington, wo wir uns gelegentlich auch treffen.

 

Susanna und Felix tragen Österreich noch immer in ihrem Herzen. Aus diesem Grund haben sie am 19. Juni dieses Jahres, 2005, auf dem Kirchplatz ihrer Heimatstadt einen Gedenkstein zur Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Juden errichtet. Die Planung und Errichtung des Denkmals wurde von Felix’ Sohn Uri Yokel durchgeführt, der dieses in Zusammenarbeit mit dem Verein Lead Niskor - Verein zum Gedenken an die vertriebenen und ermordeten österreichischen Juden, errichtete. Der Verein Lead Niskor präsentierte das Mahnmal wider dem Vergessen getöteter und vertriebener Juden: „Tot ist man erst, wenn man vergessen ist.“ Gegen dieses Sterben kämpfen die Mitglieder aus dem Verein Lead Niskor seit 14 Jahren. Mit der Errichtung dieses Gedenksteins haben auch sie ein kleines Zeichen gesetzt, um diesem Ziel näher zukommen. Gemeinsam mit den jüdischen Familien aus Laa und deren Nachkommen, die aus der ganzen Welt angereist waren, präsentierten sie das Erinnerungsdenkmal an die ehemalige jüdische Bevölkerung von Laa. Gegenüber dem Gebäude mit der ehemaligen Synagoge sind auf dem Mühlviertler Granitstein die 33 Familiennamen zu lesen. Bei der Wahl des Materials wurde bewusst ein Granitstein aus dem oberösterreichischen Mühlviertel gewählt, der nur wenige Kilometer von dem österreichischen Konzentrationslager Mauthausen entfernt - dem Lager, in dem viele Häftlinge bei der Arbeit im Granitsteinbruch ihr Leben verloren - abgebaut wurde.

 

Für viele Juden war erst der Kontakt mit dem Verein Lead Niskor wieder Veranlassung, zurück nach Laa zu kommen. Zu groß waren bisher die Verletzungen. Bei der Denkmaleröffnung berichteten Felix Yokel und seine Mitschülerin von damals Kitty Schrott aus ihren Jugendjahren in Laa. Gemäß Namen und Motto des Vereines „Lead Niskor“ - „Immerwährendes Gedenken“ appelierte Avschalom Hodik von der israelischen Kultusgemeinde in Wien aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen und verurteilte aktuelle Wortspenden umstrittener Politiker. Bürgermeister Manfred Fass, der Grund und Fundament für das Denkmal zur Verfügung gestellt hatte, wollte es als Zeichen dafür sehen, dass man rechtzeitig handeln müsse, um zu verhindern, dass Greuel wie der Holocaust wieder passieren.

Die Feier klang mit dem Kaddisch, dem jüdischen Totengebet aus, stilgerecht umrahmt von den „freylichen Klezmorim“ einem heimischen Ensemble, dass sich mit jüdischer Volksmusik beschäftigt.

 

 

 

 

Nachtrag:

Am Sonntag den 27. November 2005 ist Felix von uns gegangen. Ich möchte an Susanna und der ganzen Familie Yokel mein tiefstes Beileid aussprechen. Die Trauer und der starke Schmerz sitzen tief in meinem Herzen. Ich werde Felix in ehrenvoller Erinnerung behalten.

 

 

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Von der Geschichte zur Kunst - über die Freundschaft zu Kurt Heinrich und unserer gemeinsamen Ausstellung

 

 

Die Bekanntschaft mit Kurt Heinrich war für mich eine große kulturelle Bereicherung. Bei unseren Treffen unterhielten wir uns über Österreich, wie das Leben in Wien damals war und wie es heute ist. Doch außer Geschichte und Geographie haben wir auch eine andere gemeinsame Leidenschaft entdeckt - die Kunst.

Kurt Heinrich wurde am 31. Mai 1921 in Wien geboren. Als seine Familie nach Hernals, im siebzehnten Wiener Gemeindebezirk, zog, war er noch ein Kind. Die politischen Verhältnisse zwangen die Familie, ihre Ausreise aus Österreich zu organisieren. Es war damals nicht einfach, ein Visum zu bekommen, und nach langen Überlegungen gelang es der Familie, nach Argentinien auszuwandern. Heinrich versuchte für sich eine Dienstfreistellung vom Militär zu erhalten, um Österreich gemeinsam mit seiner Familie verlassen zu können:

 „Die Behörden in Österreich richteten sich damals nach dem deutschen Recht, mit dem sie sich noch nicht gut auskannten. Ich wollte ausreisen, erhielt aber nur eine Freistellung für ein Jahr. Als ich mit dem zuständigen General sprach, betonte ich, dass ich keine Freistellung, sondern eine unbefristete Ausreisegenehmigung wollte. Daraufhin forderte der General den Wachposten auf, das Zimmer zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen. Als ich schließlich mit ihm allein war, sagte er:

 

‚Herr Heinrich, Sie sind nicht sehr gescheit. Ich gebe Ihnen eine Freistellung für ein Jahr, und, wenn Sie erst einmal in Argentinien sind, können Sie die Nazis gern haben. Und jetzt nehmen Sie dieses Papier, bevor ich’s mir anders überleg.’

 

Und so nahm ich es und verließ rasch den Raum.“

 

 

 

 

So reiste Kurt Heinrich mit seinen Eltern und seiner Schwester Herta über Umwege von Wien nach Buenos Aires, wo sie am 2. Januar 1939 an Bord der Oceania ankamen. Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter dem Peron-Regime drängten Kurt und seine Frau Maria Elena später, aus Buenos Aires in die Vereinigten Staaten auszuwandern. 1965 besuchte er nach 26 Jahren erstmals wieder seine alte Heimat Österreich.

Von der Ausbildung Chemiker, arbeitete Kurt Heinrich hauptsächlich für das amerikanische Eichamt (National Bureau of Standards), war und ist in seiner Freizeit aber auch ein leidenschaftlicher Künstler. Wir haben uns nicht nur oft über Kunst unterhalten, sondern auch gemeinsam im Garten seines Hauses gemalt. Daraus sind einige interessante Bilder entstanden, die wir zusammen mit anderen seiner Werke bei einem Kunstforum in der Saint Thomas Parish Church in Washington ausstellten.

 

 

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Über den Lauf der Geschichte und die persönliche Erkenntnis

Beitrag von Kurt Heinrich

 

 

 

Als im Jahre 1492 drei kleine Schiffe unter dem Kommando von Christoph Columbus in einem neuen Kontinent ankamen, der später Amerika genannt wurde, öffnete sich ein neues Kapitel der Weltgeschichte.

Ansiedler aus Spanien, Portugal, England und Frankreich, und in kleinerer Anzahl auch aus anderen Ländern, besiedelten das neu entdeckte Land. Die ursprünglichen Bewohner wurden überwältigt und dezimiert - mehr durch ansteckende Krankheiten, gegen die sie keinen Widerstand leisten konnten, als durch Gewaltmaßnahmen der neuen Herren -, und bald machten sich die neuen Siedler von der Hoheit der europäischen Mächte unabhängig und gründeten die Vereinigten Staaten, Kanada und die lateinamerikanischen und karibischen Republiken. Im 19. und 20. Jahrhundert bewegte sich ein ständiger Strom von Immigranten - vorwiegend aus Zentral- und Osteuropa -  aus wirtschaftlichen und politischen Gründen nach Amerika. Sie ließen sich vorzugsweise in den Gegenden nieder, die ein gemäßigtes Klima hatten, und in denen sich große Städte bildeten. Ankömmlinge aus Deutschland, Italien, Irland und den Ländern Mittel- und Osteuropas - und die Nachkommen dieser Generation - sind heute in vielen Gebieten des amerikanischen Kontinents ein wesentlicher Teil der Bevölkerung.

 

Viele Ankömmlinge kamen nicht weiter als bis nach New York, wo sie einfach landeten und Slums bildeten, in welchen sie im Elend lebten. Aber die meisten von ihnen, und hier ganz besonders ihre Kinder, stiegen in der sozialen Leiter auf, und die Vorurteile der Einheimischen gegen die Fremdsprechenden, Andersgläubigen und Rassenfremden verminderten sich graduell. Die Fremdlinge und deren Kinder, die fest daran glaubten, dass sie den Weg in eine neue Heimat gefunden hatten, wurden überzeugte Patrioten ihres Wahllandes. Selbst wenn die Anpassung ans neue Milieu mit Schwierigkeiten verbunden war, verteidigten sie diese Haltung. Sie waren sich sicher, dass ihr neues Land das beste der Welt war, und sie bestanden auf diesem Glauben, auch wenn die sozialen Bedingungen nicht ideal waren oder sich selbst Ende des 20. Jahrhunderts verschlimmerten.

 

Diese Anpassung war für diejenigen schwieriger, die nicht freiwillig ins Land gekommen waren, sei es durch Gewalt als Sklaven oder als politische Flüchtlinge und Verbannte, die hier ihr Heil suchten. Die Verstimmung über die erzwungene Übersiedlung war maßgebend und beeinflusste ihre Einstellung und Ansichten.

 

Nach meinem unfreiwilligen Abschied von Österreich 1938 war es mir möglich, in Argentinien eine friedliche Existenz zu führen und meine Studien zu verfolgen, während viele meiner alten Freunde und Schulkollegen in dem furchtbaren Krieg umkamen. Es war mir aber nicht gegeben, mein Glück völlig anzuerkennen. Ich musste mich ständig an die wundervolle Jugend in Wien erinnern, die so plötzlich und unerfreulich geendet hatte. In meinen Träumen und Phantasien nahm das verlorene Paradies immer neue Dimensionen an. Die Donau schien blauer, die Stadt noch anziehender, und die Berge des Wienerwalds schienen höher, als sie in der Tat gewesen waren.

 

Nachdem ich mich aus beruflichen Gründen entschlossen hatte, von Argentinien in die USA auszuwandern, fiel es mir später leichter, die Vereinigten Staaten meine neue Heimat zu nennen.

 

Ich hatte gute Chancen, in der wissenschaftlichen Forschung Arbeit zu finden, und es gelang mir schließlich auch, eine Stellung zu bekommen, die meinen beruflichen Ambitionen entsprach.

Ich wurde Vater zweier Kinder und durch mein Familien- und Berufsleben beschäftigt, merkte ich kaum, dass die Jahre so schnell an mir vorbeizogen. Ich glaube, dass ich jetzt als älterer Mensch die Geschehnisse meines Lebens objektiver beurteilen kann.

Aber nach meiner Pensionierung nahmen die Erinnerungen an die Vergangenheit wieder stark zu: So begann ich, das Leben meiner Vorfahren zu studieren, sammelte Bücher und Bilder von der alten Heimat, las ihre Literatur, und lernte, wie man die wohl schmeckenden österreichischen Speisen zubereitet, die immer meine Lieblingsspeisen waren. Ich konnte sogar Österreich mehrmals besuchen, was immer mein alter Traum gewesen war.

Es wurde mir aber schmerzlich bewusst, dass der Lauf der Zeit seine Spuren hinterlassen hatte. Manche Gebäude, mit denen ich vertraut war, waren verschwunden oder völlig verbaut, und viele Dinge hatten sich überraschend geändert. Vor allem aber waren all meine alten Freunde und Schulkameraden im Krieg und der Zerstörung verschwunden, und die wenigen Verwandten, die ich noch finden konnte, waren alt und hatten sich sehr verändert. Bald wurde mir klar, dass die größte Veränderung die meiner selbst war: Ich war nicht mehr der Jugendliche, der einmal in Wien gelebt hatte. Die Zeit war zu meinem Feind geworden und ihre Auswirkungen waren unwiderruflich. Manche Veränderungen hatten jedoch auch ihre guten Seiten.

Bei meinem ersten Besuch Wiens nach dem Kriege fühlte ich mich nicht behaglich:

Meine neuen Bekannten wollten nicht über unsere Verbannung reden, nicht über den Krieg und den Holocaust. Mit der Zeit aber sterben auch unsere Feinde. Die jüngeren Generationen, für die die entsetzlichen Ereignisse der Vergangenheit nur ein Kapitel der Geschichte sind, haben uns immer mit Wärme und Freundschaft empfangen. Selbst nach meiner Rückkehr nach Washington schloss ich auf der österreichischen Botschaft und im Holocaust-Museum, wo einige junge Österreicher als freiwillige Mitarbeiter tätig sind, mit dieser Generation neue Freundschaften. Die Kinder meiner Cousins haben auch dazu beigetragen, mich mit den seltsamen Wendungen meines Lebens zu versöhnen, die die politischen Stürme Europas im letzten Jahrhundert verursachten.

 


 

IV. Was der Mensch von sich kennt, ist sein Spiegelbild

 

 

In der Nacht auf den 23. Juli ist unsere Straße noch mit einem kleinen Schrecken davongekommen. Mitten in der Nacht wurde ich von einem starken Lärm geweckt: Es tobte ein riesiger Sturm.

Ich stand auf, und als ich aus dem Fenster blickte, nahm ich zuerst gar nicht wahr, was ich da genau sah. Es war, als würde ich durch das Glas den Schleudergang in der Waschmaschine beobachten. Ich konnte lediglich erkennen, dass die enormen Wassermassen gegen die Fensterscheiben prallten und große Mengen Laub und Äste mit sich trugen. Es blitzte und donnerte, als fielen Bomben auf die Stadt. Es war ein beängstigendes Schauspiel. Ein paar Minuten später hat es plötzlich aufgehört und es wurde still. Alles wirkte dann sehr friedlich, was zurückblieb waren die umgefallenen Bäume mit Spuren von dem Sturm in den Rinden. Ich hatte auch Angst, doch diesmal hat der Sturm nur die Bäume mit sich gerissen. Am nächsten Morgen pflanzten wir in der Nachbarschaft neue Bäume. Dieser Sturm war vorbei.

 

 

***

 

 

Es hat sich vieles ereignet in dieser Zeit, es kam mir vor als würde sich die Welt schneller bewegen. Es gab viele Anlässe zum Lachen, aber leider auch viele zum Weinen. Die schockierende Welle aus Nachrichten über die riesigen Naturkatastrophen und Menschentragödien machte mich nachdenklich. Manche Freunde kritisierten meine Entscheidung meinen beruflichen Karriereweg zu unterbrechen, um für vierzehn Monate im Ausland einen Gedenkdienst abzuleisten, für leichtsinnig. Doch ich habe noch zum damaligen Zeitpunkt das soziale Engagement für besonders wichtig empfunden und tue dies heute umso mehr.

Wenn ich nur an die schreckliche Tsunami-Welle, die nach Weihnachten in Asien einschlug und so vielen Menschen das Leben nahm, zurückdenke. Die vielen Stürme und Hurrikans die in Florida tobten, und an den Hurrikans Katrina der die Stadt New Orleans komplett zerstörte und soziale Tragödien auslöste. Die ethnischen Konflikte in Sudan mit unzähligen Opfern. Und die vier Bomben die am 7.Juli 2005 gegen neun Uhr am morgen die Stadt London erschütterten. All diese furchtbaren Dinge sind in dieser Zeit passiert. Ich weiß noch, dass ich an jenem Morgen, als sich das Bombenattentat in London ereignete, an der englischen Botschaft vorbei fuhr und sah wie sich die vielen Journalisten vor dem Eingang scharten. Bei diesem Anblick ahnte ich schon, dass etwas passiert sein musste. Im Museum erfuhr ich dann von den Anschlägen. John vom Gedenkdienstbüro in Wien, hatte zur Beruhigung eine Email an alle Mitglieder des Vereins ausgeschickt, in der er uns mitteilte, dass es den Gedenkdienern in London gut gehe. Aber da waren noch meine vielen Freunde und Bekannte. Ich griff zum Telefonhörer, die Leitungen waren besetzt, die Verkehrsverbindungen und Kommunikationsmittel waren blockiert. Zwei Stunden später hatte ich meinen Freund Alex am anderen Ende der Leitung: Seiner Familie und ihm ging es gut.

In solchen Situationen, wenn sich die Panik schließlich legt, fange ich immer an, über das Versagen der Gesellschaft nachzudenken. Damals spürte ich einen starken Schmerz in meinem Körper und Trockenheit in meiner Kehle. Ich brach beinahe in Tränen aus. Meine Gedanken versetzten mich in meine Kindheit zurück, in der ich Kosmonaut werden wollte, um ferne Planeten entdecken und die Menschheit vor dem Bösen beschützen zu können. Doch ich hatte dabei nie die Gefahr in uns Menschen selbst gesehen.

Ich glaube, dass wir alle im Laufe unseres Lebensweges eine Spur zeichnen die uns als Persönlichkeiten prägt. Deshalb empfinde ich es auch für notwendig den Weg gut bedacht und gewissenhaft zu gehen, damit wir uns zurückzublicken trauen. Was wir von uns selbst und von einander kennen entsteht aus der Reflektion aus unserem Umfeld das wir mitbeeinflussen. Die Hand sollte man dann reichen, wenn es notwendig ist und die Menschlichkeit sollte sich als die treibende Kraft erweisen.

 

 

 

 

 

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Am amerikanischen Nationalgedenktag - Days of Remembrance

 

 

Anlässlich der amerikanischen Nationalgedenktage wurde am 5. Mai, in der Rotunde des Capitols eine Gedenkzeremonie veranstaltet, die in Zusammenarbeit mit dem Holocaust Memorial Museum organisiert wurde. Zum 60sten Jahresjubiläum seit der Befreiung der Konzentrationslager und der darauffolgenden Gerichtsverfolgung der Nazi Kriegsverbrecher unter internationalem Recht in Nürnberg, wurde die Zeremonie unter dem Namen „Von der Befreiung bis zur Rechtsvollstreckung - From Liberation to the Pursuit of Justice“.

Ich habe mich bei der Freiwilligengruppe von Kollegen aus dem Museum gemeldet, um mich an den Vorbereitungen der Veranstaltung zu beteiligen, dadurch ergab sich auch für mich die Gelegenheit das Senatgebäude auch von innen zu besichtigen, was für die Öffentlichkeit nur eingeschränkt zu bestimmten Stunden zu betreten war.

Als der Raum eingerichtet war und die Fernsehkameras aufgestellt wurden, koordinierte ich mit meinen Kollegen die Sitzordnung der Gäste, unter ihnen auch viele Zeitzeugen aus dem Gedenkdienst-Freundeskreis. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, wurde in dem menschenüberfüllten Raum, um 12 Uhr Mittag, die einstündige Gedenkzeremonie, von dem Vorsitzenden des USHMM Komitees Fred S. Zeidman, eröffnet. Es folgten die Ansprachen von dem Zeitzeugen Benjamin Meed, der im Warschauer Ghetto gelebt hat und aktives Mitglied der Jüdischen Untergrundbewegung gewesen ist, sowie von Susan Eisenhower, Enkelin des Präsidenten Dwight David Eisenhower. Ehrengast war die First Lady Laura Bush. Bei ihrer Rede deutete sie mit Schmerz in der Stimme auf die Kinderopfer und ehrte die Zeitzeugen und Befreier.

Die Flaggen der Amerikanischen Befreiungsarmeen[23] wurden vorgestellt und fünf Gedenkkerzen wurden von Zeitzeugen gezündet, unter ihnen auch mein Freund und Kollege aus unserer Abteilung am Museum, Gerald Schwab.

 

 

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Die Präsidentschaftswahlen 2004 - Eine lange schlaflose Nacht

 

 

In den Wochen vor der Wahl waren die Straßen und Häuser von Werbeplakaten und Fahnen zugedeckt. Wenn man in alle Richtungen in Washington schaute, würde man meinen die ganze Stadt wäre sich einig gewesen wen sie zum Präsidenten haben wollen - John Kerrys Name war an fast jedem Hausfenster und an jeder Autoglasscheibe zu lesen, die Hauptstadt der USA hatte wohl einen demokratischen Touch. Es war sehr interessant aus der Nähe zu betrachten, wie die Präsidentschaftswahlen in diesem Land ablaufen:

   Der Präsident wird durch Wahlmänner (electors) gewählt. In jedem Staat werden so viele Wahlmänner gewählt, wie der Staat Vertreter in den Kongreß entsendet, mindestens also drei (zwei Senatoren und mindestens einen Repräsentanten). Zusammen sind es 538 Wahlmänner, 100 (für die Senatoren), 435 (für die Mitglieder des Repräsentantenhauses) und drei Wahlmänner für den District of Columbia, also hier in Washington, die nicht im Kongreß vertreten ist, sondern als bundeseigener Bezirk der Jurisdiktion des Kongresses unterworfen ist.

   Sämtliche Wahlmännerstimmen eines Staates werden für den Präsidentschaftskandidaten abgegeben, der die Mehrheit der Stimmen in diesem Staat erhalten hat. Für jeden Kandidaten ist es wichtig, diejenigen Staaten zu "erobern", die viele Abgeordnete in das Repräsentantenhaus entsenden und damit viele Wahlmänner stellen, so Kalifornien mit 54, Texas mit 32, New York mit 33 oder Illinois mit 22. Die Zahlen ändern sich alle zehn Jahre, wenn durch eine nationale Bevölkerungserhebung Veränderungen in der Einwohnerzahl der Einzelstaaten festgestellt worden sind.

 

Im Fernsehen wurden von mir die Wahlcampagne und das Wahlverfahren detailliert verfolgt. Das Land brauchte jetzt einen langen Atem, denn es wurde mehrfach versichert, dass jede Stimme gezählt werden soll. Am Wahltag wurde im Wohngemeinschaftshaus von meinem Vorgänger Christoph eine Feier organisiert, wo wir über die Fernsehnachrichten den Verlauf verfolgten. Da das Land mehrere Zeitzonen umfasst und die einzelnen Bundesstaaten verschieden groß sind, dauerte auch die Abzählung der Wahlstimmen verschieden lang und die Ergebnisse kamen Stückchenweise aus allen Richtungen. Auf der politischen Karte im Nachrichtenkanal blinkte im Stundentakt mal ein roter, mal ein blauer Bundesstaat auf.  Es war schon nach Mitternacht und die Wahl war noch nicht entschieden. Ich ging nach Hause und verfolgte das Geschehen von dort aus weiter, jetzt erwarteten wir nur noch den Ausgang in Florida und Ohio. Ich glaube es war fünf Uhr Früh als das Endergebnis bekannt gemacht wurde.

„Die U.S. Präsidentschaftswahl 2004 wurde von den amtierenden Präsidenten, dem Republikaner George W. Bush, gewonnen, der seinen Hauptrivalen[24], den Demokraten John F. Kerry, Senator von Massachusetts, bezwingte. Eine der Kerndiskussionen war die Kriegsführungsstrategie zur Terrorismusbekämpfung. Bush setzte sich für die Handlungen seiner Administration ein, wogegen Kerry disputierte, dass der Krieg inkompetent geführt wurde, und dass der Iraq Krieg  eine Abweichung von dem Krieg gegen den  Terror, und nicht als Teil davon zu Betrachten sei.

Die Volksabstimmung fand am Wahltag, den 2. November statt, doch es dauerte bis zum nächsten Tag bis der Gewinner entschieden worden war. Die Wahl hing an der Entscheidung in Ohio ab, einem kontroversen stark umkämpften Bundesstaat. Am nächsten Tag gab sich Kerry in Ohio (im Buckeye State) geschlagen, und somit auch bei der Präsidentschaftswahl. Das Endergebnis zeigte 286 Stimmen für Bush, 251 für Kerry, und 1 für Edwards.“[25]

 

 

 

 


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Die Holocaust Gedenkstiftung in Buenos Aires

 

 

Visumbedingt musste ich Mitte März aus den USA ausreisen und ich entschloss mich, statt nach Wien zurückzufliegen, meinem Kollegen Johannes in Buenos Aires einen Besuch abzustatten, um auch die dortige Einsatzstelle kennen zulernen. Ich habe ihm am Tag vor der Abreise eine Email geschrieben, um uns zum Abendessen zu verabreden. Da es dort üblich ist, spät Abend zu essen, schlug Johannes vor, den von mir vorgeschlagenen Termin von acht am Abend auf Mitternacht zu verlegen.

Zu meiner angenehmen Überraschung befand sich das bescheidene Hotel, in das ich ein Zimmer gebucht hatte, in einer Seitengasse von der Via Florida, die Hauptfussgängerzone der riesigen Metropole. Nicht weit davon entfernt, im Herzen der Stadt, in den kleinen Gassen des Viertels San Nicolas, befindet sich die Holocaust Gedenkstiftung. Nachdem mich Johannes am Abend in die genussvolle argentinische Küche eingeführt hat und wir ein paar berühmte Rindsteaks verzehrten, machten wir uns einen Termin für den nächsten Tag aus, damit ich Stiftung besichtige und seine Kollegen kennen lernen kann. Auch hier kam das Zeitthema auf, denn ich schlug schon einen Termin um 10 Uhr in der Früh vor und Johannes meinte gelassen: „sachte, sachte, also hier bei uns geht alles etwas langsamer voran, wir sind ja schließlich nicht in den Staaten...“, und dann einigten wir uns auf den späteren Nachmittag.

Als ich am Tag darauf zur Holocaust Gedenkstiftung ging war diese von der Straße nicht wirklich zu erkennen. Ich betrat die Tür und ein junger Mann, der hinter einem Tisch saß wie ich ihn aus der Schule kenne, begegnete mich mit verwunderten Blick, anscheinend war er Besucher nicht gewohnt. Ich stellte mich vor und bat Johannes anzurufen, um mich abzuholen. In dem Gebäude waren die Holocaust Gedenkstiftung, ein Shoah Museum und ein Dokumentationszentrum untergebracht. Wir gingen in die oberen Stockwerke wo mich Johannes allen vorstellte. Johannes zeigte mir seinen Arbeitsplatz, der ungefähr viermal größer war als mein Cubical. Besonders gemütlich empfand ich die kleine Bibliothek die gerade im Entstehen war und auf den Regalen fand ich das Buch vom USHMM über die derzeit noch laufende Zeitausstellung Deadly Medicin. Die Bibliothekarin Carolina war davon begeistert, dass ich Russisch spreche, denn sie studierte es selbst. Im Gespräch schlug ich vor mich bei unserer Bibliothek am Holocaust Memorial Museum zu erkundigen, ob es möglich sein wird Bücher an sie zu stiften, was ich nach meiner Rückkehr auch tat.

Die Zeit die ich in Buenos Aires verbrachte war ein netter Ausgleich zu meiner Zeit in Washington. Ich erfreute mich am kulturellen Leben, ging zur Oper ins Teatro Cologne, beobachtete mit Begeisterung die Tangovorführungen in Solo Tango und auf den Straßen von San Telmo, genoss die fabelhaften Gerichte. All diese Dinge sind für mich in den USA einfach nicht leistbar gewesen. Ja, Buenos Aires ist sicherlich mehr als eine Reise wert, und es war für mich auch sehr erfrischend mich mal wieder mit Joha (Johannes) zu treffen.

 

 


 

 

 

 

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Mein Nachfolger ist da

 

 

Am 12. Juli kam ich am Abend vom Museum zurück und blickte aus dem Fenster: Mein Nachfolger Christian müsste jeden Augenblick mit dem Shuttle Bus vom Flughafen kommen. Ich musste deshalb am Fenster warten, weil unser Haus keine Klingel hat. Ich ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, da hörte ich auch schon den Bus vor dem Haus vorfahren. Da stand er nun, mit zwei vollgestopften Taschen mit dem notwendigsten Gepäck für die nächsten vierzehn Monate darin. Ich ging hinunter, um ihm beim Tragen zu helfen. Wir sahen uns zum ersten Mal, da ich im Winter beim Auswahlseminar nicht nach Wien fliegen konnte. Wir gingen hinauf, damit Christian erstmal sein Gepäck abstellen konnte und stießen mit einem Bier auf seine Ankunft an.

 


 

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Christian schreibt über seinen ersten Eindruck

 

 

 

Was kann ich nun nach einem Monat von meinen ersten Eindrücken aus Washington DC berichten?

Ehrlich gesagt, ist es vielleicht nicht ganz fair, mich nach meiner Meinung zu fragen, da ich diese Reise möglicherweise unter ganz anderen Voraussetzungen als meine Kollegen oder Vorgänger angetreten bin. Ich wusste durch meinen einjährigen Aufenthalt in Barcelona, worauf ich in einem anderen Land zu achten hatte und in welchen Belangen ich meinen Konsum einschränken musste, um mein Budget nicht zu sprengen. Darüber hinaus glaubte ich, über die notwendige Erfahrung und das notwendige Weltwissen zu verfügen und wusste, dass ich mich durch Respekt und Anpassung in diese andere, „neue“ Kultur einzugliedern hatte.

Das war die eine Seite dieser geistigen Vorbereitung. Das war die Stimme des Teufelchens, das auf meiner linken Schulter saß und das sich gut darauf verstand, mein Gewissen zu beruhigen, so dass ich mir einreden konnte, mit eben diesem ruhigen Gewissen meine Vorbereitungsarbeiten für den Gedenkdienst in einem - für mich höchst angenehmen - kleinen Rahmen zu halten.

Das Engelchen auf meiner rechten Schulter sagte mir jedoch auch immer wieder, dass Amerika bzw. die USA anders waren. So wie es eben hieß „España es diferente“, musste dies auch auf Amerika zutreffen. Welche von den beiden Teufelszungen sollte Recht behalten? Würde es wie immer ein gesunder Ausgleich zwischen beiden Extremen sein?

Was hieß dies für mich?

 

Ich bin zwar (inzwischen) ein recht organisierter Mensch, habe aber auch aus Erfahrung gelernt, dass zu viel strategische Planung sehr oft auch nicht zielführend ist, da sich sehr viele Dinge aus Zufall ergeben, aus zufälligen Bekanntschaften, durch Menschen, die man einfach so trifft und mit denen man völlig ungewollt genau auf dieses Thema zu sprechen kommt; auf dieses eine Thema, das einen schon seit Wochen beschäftigt, und jetzt endlich eine Antwort, eine Handlung bzw. Vorbereitung erfordern würde. Und dann trifft man diesen Menschen, der einem einfach so diese Antwort geben kann. Sehr oft hat sich die bauernschlaue Weisheit „Beim Redn kumman die Leit zsamm“ für mich tatsächlich als wahr herausgestellt.

Und ich habe diesen Menschen getroffen. Aber das ist nicht zufällig passiert. Denn der Mensch, der mir hier am meisten geholfen hat, wartete in Washington bereits auf mich. Er hatte mir erklärt, wohin ich nach meiner Ankunft am Flughafen gehen musste und wie ich am günstigsten zu meiner Wohnadresse kommen würde. Er hatte mir noch nach Österreich geschrieben, sich um die Bereitstellung einer Wohnung zu kümmern und dass ich dem Fahrer des Shuttlebusses unbedingt Northwest sagen müsste, weil ich sonst woanders landen würde. Er zog aus seiner eigenen Wohnung aus, damit ich bequem in diese einziehen konnte, er regelte alle unangenehmen Angelegenheiten, so dass ich vom ersten Tag an gemütlich in dieser Wohnung leben konnte. Er führte mich zu allen Geschäften und Einkaufscentern, damit ich später genau wissen würde, wo ich was am billigsten besorgen könnte, und genau so persönlich stellte er mich all seinen Bekannten, Freunden und den Zeitzeugen vor. Er bat im Gegenzug dafür NIE um etwas und bewies wirklich eine Engelsgeduld, wenn er mir als typisch österreichischem Gelegenheitsphlegmatiker ein weiteres Mal erklären musste, dass dieses oder jenes besonders lang dauere oder unbedingt notwendig bzw. besonders pünktlich zu erledigen sei, da wir uns nun mal in Amerika befänden. Es wurden mir so viele Hilfestellungen gegeben, dass ich insgeheim anfing, ein schlechtes Gewissen zu bekommen und schon nach einer Woche heimlich darüber Notizen machte, was ich denn später mal alles für meinen Nachfolger zu arrangieren hätte. Ich konnte mich schlicht nicht mehr an alles erinnern.

Ja, der Mensch, der mir hier in Washington ohne Zweifel am meisten geholfen hat, war mein Vorgänger Stefan. Er hat mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit so oft Dinge für mich erledigt bzw. mir bei Dingen geholfen, dass es selbst mir als alten Menschenkenner und Weltenbummler des öfteren die Sprache verschlagen hatte. Darum sollen diese ersten Seiten auch eine außerordentliche Danksagung an ihm sein. Wir haben uns schon nach kurzer Zeit ausgezeichnet verstanden. Gemeinsam haben wir die halbe Stadt besichtigt und unzählige Flaschen Wein geleert, während wir über verschiedenste Mentalitäten plauderten. Wir haben zusammen Barbecues und  Ausstellungen organisiert. Ich wurde zum Schreiben und hoffentlich noch zum Fotografieren motiviert. Herzlichen Dank! Du warst und bist mir wirklich eine große Hilfe!

 

Was kann ich zu meiner Verteidigung aufbringen: Ich bin bestimmt niemand, der aufs Geratewohl für längere Zeit in ein Land fährt. Ich hatte meine Vorbereitungen für Amerika sehr wohl getroffen, aber nicht bis ins kleinste Detail. Dafür war mir einfach keine Zeit geblieben.

Ich hatte die letzten Monate vor meiner Abreise damit verbracht, tausende Seiten übersetzungswissenschaftlicher Literatur auswendig zu lernen, hatte endlich meine Diplomarbeit zu beenden, an der Fachhochschule regelmäßig einen Spanischkurs abzuhalten und 15 Nachhilfeschüler, die entweder vor dem Abschlusszeugnis schwitzten oder vor der Reifeprüfung standen, und in Englisch, Französisch oder Spanisch von mir betreut werden wollten. Ganz nebenbei war ich noch Lektor für eine Diplomarbeit einer spanischen Studienkollegin und natürlich auch Mitglied beim Verein GEDENKDIENST, für den ich dann noch in meiner Freizeit unterwegs war, um Förderungsgelder von Verwandten und Bekannten aufzubringen, um mir den  bevorstehenden Gedenkdienst in Washington leisten zu können.

 

Leider hatte ich nicht mehr die Möglichkeit, mich von allen Freunden zu verabschieden. Das war auch etwas, was mich anfangs noch stark beschäftigt hatte. Aber es ging vorbei und im 21. Jahrhundert, wie ich zu sagen pflege, ist es kein Problem mehr, miteinander in Kontakt zu treten.

 

Schon kurz nach meiner Ankunft stellte mich Stefan im Museum vor. Mein erster Eindruck war wirklich ein sehr positiver. Ich erinnere mich noch, dass ich mir dachte, ob ich es wohl schaffen würde, mir alle Namen meiner Kollegen zu merken. Ich war auch sehr überrascht, als ich den Arbeitsplatz sah, der auf mich wirklich sehr amerikanisch wirkte, und für mich ein plattes Klischee erfüllte: das Cubical.

Hier sollen wir nun zwei Monate gemeinsam auf kleinster Fläche arbeiten, ohne uns irgendwann gewaltigst auf die Nerven zu gehen. Entweder sind wir beide hervorragende Lügner bzw. Meister im Unterdrücken von Emotionen oder wir haben uns wirklich so gut verstanden, denn wir haben die Zeit bisher tatsächlich ohne jegliche Meinungsverschiedenheit überstanden.

Und unser Arbeitsplatz war und ist ohne Zweifel zu klein, zumal wir sehr viel zu übersetzen, bearbeiten und recherchieren haben und nur ein Terminal besitzen, was die gemeinsame Arbeit an unseren Projekten um sehr vieles umständlicher machte.

Die Arbeit im Museum hat mich vom ersten Tag an begeistert. Sie ist ein interessanter Mix aus vielen Bereichen, an denen ich besonders interessiert bin: Übersetzungen, wissenschaftliche Forschung und Bibliotheks- bzw. Archivarbeit. Wenn einem diese sitzende Tätigkeit dann doch ein bisschen zu bürokratisch wird, hat man jederzeit die Möglichkeit und - was an einem Arbeitsplatz noch viel wertvoller ist - auch die uneingeschränkte Erlaubnis, mit den Zeitzeugen etwas zu unternehmen bzw. ihnen einfach einen Besuch abzustatten. Ja, die fast freie Arbeitsplatzgestaltung bzw. Arbeitszeitgestaltung ist neben dem Inhalt unserer Arbeit der wohl positivste Aspekt des Gedenkdienstes am United States Holocaust Memorial Museum und macht den Job auch so wunderbar abwechslungsreich.

Wenn man genug von den Büchern, Texten und ihren Inhalten hat - so spannend und lehrreich diese auch sein mögen - und man nicht mehr einzig übers Internet aus seinem Cubical heraus mit Menschen kommunizieren möchte, dann bietet einem das Museum z. B. die Alternative, eigene Projekte mit den Zeitzeugen zu organisieren. Auch Stefan unterstreicht diesen Faktor über die Freiheit zu verfügen um sich mehr für die Zeitzeugen zu engagieren immer wieder als einen der angenehmsten Aspekte der Tätigkeit hier am USHMM.  Alles, was ich außerhalb meiner Tätigkeit im Museum mache, spreche ich mit Dr. Peter Black ab, denn es ist wichtig, ihn auf dem Laufenden zu halten. Für mich - jemanden, der Jahre lang in der Gastronomie und als Übersetzer unter Zeitdruck gearbeitet hat - ist das neue Arbeitsumfeld sehr angenehm.

Und jetzt bin ich gespannt wie es weiter geht...

 

 


 

 

 

V. Reise in dir Vergangenheit - Rückblicke

 

 

Mein Vorgänger Christoph[26]

 

 

Rück- und Ausblick auf Washington

 

 

Wie beschreibt man 14 Monate Gedenkdienst in Washington, DC? Für mich muss es auf jeden Fall eine sehr vielschichtige Beschreibung sein. Zu viele Eindrücke und Personen prägen dieses Bild, als dass es darauf eine klare Antwort gibt. Dies merke ich vor allem, wenn ich diese Zeilen über ein Jahr nach meiner Rückkehr schreibe und mir bewusst wird, wie vollkommen unterschiedlich mein Leben heute ohne diese Erfahrungen aussehen würde.

Gewohntes und Ungewohntes

Bei meinem Eintreffen waren meine Erwartungen vor allem auf die Arbeit konzentriert. Dass meine erste Arbeit nach dem Geschichtestudium gleich in einem der führenden Holocaust Forschungseinrichtungen sein wird, hätte ich mir auch nie träumen lassen. „Wird wohl auch nicht so schlecht für meine Karriere sein“, war einer der Gedanken, muss ich ehrlich zugeben. Ich war daher entsprechend aufgeregt. Meiner anderen Aufgaben neben der Forschungsarbeit war ich mir zwar bewusst, doch konnte ich mir unter dem Recherchieren in der Bibliothek und in den Archiven einfach die besten Vorstellungen machen. Ich wurde auch nicht enttäuscht. In meinen ersten Wochen konnte ich es manchmal kaum erwarten nach dem Wochenende zurück zur Arbeit zu gehen (der Enthusiasmus der ersten Vollzeitarbeit nach sechs Jahren Studium). Es war einfach ein extrem gutes Gefühl, die im Studium erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse endlich in der Praxis anwenden zu können. Dazu boten sich in Washington auch ganz andere Möglichkeiten. Neben dem Museum recherchierte ich im amerikanischen Nationalarchiv, hauptsächlich in NS-Personalakten (aus den Beständen des Berlin Documentation Center). Doch etwa auch ein Filmdokument, welches eine Abmusterung einer amerikanischen Armee-Einheit am 9. Mai 1945 in meiner Heimatstadt Schwanenstadt (einer 4000 Einwohner Stadt mitten in Oberösterreich) zeigt, fand ich in den umfangreichen Beständen des Archivs. Den Luxus des einfachen und unbeschränkten Zugriffs auf die Dokumente und Artefakte lernte ich vor allem nach meiner Rückkehr nach Österreich schätzen, wo der Zugang zu Archiven eindeutig schwieriger ist. In der Library of Congress, der umfangreichsten Bibliothek der Welt, arbeitete ich ebenfalls gelegentlich. Eines meiner größten Projekte bearbeite ich im Zusammenhang mit der Eröffnung des World War II Memorials im Mai 2004. Das Museum publizierte in diesem Zusammenhang eine Serie von Artikeln über amerikanische Armee Einheiten, die Konzentrationslager befreit haben. Meine Aufgabe bestand darin, sämtliche Artikel auf ihre historische Korrektheit zu überprüfen.

Da war dann aber noch dieser andere „Aufgabenbereich“: Das Treffen mit österreichischen Holocaust-Überlebenden. Meine bisherigen Kontakte mit Holocaust-Überlebenden fanden im Rahmen von Zeitzeugengesprächen statt. Daher habe ich meine Rolle vor allem als Zuhörer gesehen. Dies hat sich allerdings sehr schnell geändert. Die Gruppe der österreichischen EmigrantInnen, mit denen sich der jeweilige Gedenkdiener in Washington trifft, ist wirklich großartig. Man merkt schnell dass die Eingliederung dieser Tätigkeit unter „Arbeit“ unangebracht ist. Es entwickelten sich Freundschaften, die aufgrund der unterschiedlichen Lebenserfahrungen und des Altersunterschieds völlig neu für mich waren. Auch die Rolle des reinen „Zuhörers“ war eine Missinterpretation. Wir diskutierten viel über aktuelle Themen und scheiterten an der Frage, ob denn nun die amerikanische oder die österreichische Regierung bedauernswerter sei. Dazu kamen sehr persönliche Gespräche, vor allem mit Regina und George, über Jobperspektiven oder private Turbulenzen, die so ein Auslandsaufenthalt automatisch mit sich brachte.

Rückkehr wider Willen

Die Rückkehr nach Österreich war schlicht ausgedrückt schrecklich. Ich hatte mich noch nie zuvor so unglücklich und unwohl an einem Ort gefühlt. Der Abschied aus Washington passierte einfach zu schnell. Statt dem erhofften Job am Museum hieß es plötzlich Abschied nehmen von vielen neuen Freunden, Kollegen, Freundin. Stattdessen arbeitslos und single in der österreichischen Einöde. Glücklicherweise habe ich bald eine interessante Teilzeitstelle in Wien bekommen, die mich auf andere Gedanken gebracht hat. Doch der Drang nach dem Ausland blieb zu groß. Bei einer Gedenkdienst Veranstaltung im Oktober erzählte mir einer meiner Vorgänger in Washington von ähnlichen Rückkehr-Erfahrungen und versuchte mich aufzumuntern: Nach einigen deprimierenden Monaten habe er im April nach seiner Rückkehr seine Frau kennen gelernt. „April ist noch ganz schön lange weg“, denke ich mir. Um mir das Warten zu erleichtern, fliege ich im Februar auf Urlaub nach Washington. Ich nehme an einer Konferenz im Museum zum aktuellen Konflikt in Darfur teil, treffe mich mit Freunden und Kollegen, gehe mit George Mittagessen in unser Stammlokal Teaism. Der Urlaub hilft nicht viel hinweg über das Fernweh, doch dann ist er endlich da, der April, in dem alles besser werden soll.

To be continued…

Ich traf zwar nicht meine zukünftige Frau, wurde aber stattdessen an einer amerikanischen Universität in Washington (an der auch Regina studiert hat) für ein zweijähriges Master-Programm angenommen. Da die Uni auch einen Campus in Bologna hat, darf ich noch ein Jahr nach Italien bevor es zurück nach Washington geht. Ich studiere Internationale Politik, der Teil meines Studiums in Wien, der mich mit Abstand am wenigsten interessiert hat. Doch Washington hat seine Spuren hinterlassen. Zum einen war es einfach die Stadt. Die Erzählungen über die interessante Arbeit und alles was dazugehört stimmen zwar alle. Aber das ganze war auch ein sozialer Höhepunkt, und ich war noch nie auf so vielen Partys in meinem Leben wie in Washington. Es war halt nur sehr schwer, auf ein Festl in Washington zu gehen, ohne über internationale Politik zu diskutieren und unglaublich engagierte, begeisterte und kritisch denkende Leute zu treffen. Zum anderen war es das Museum, und die Rolle, die die Überlebenden an diesem Ort einnehmen. Ganz gleich wie unterschiedlich die Geschichten, die ich hier gehört habe auch waren, die Botschaft war immer die gleiche, und gleich beeindruckend. Und diese Botschaft spiegelt sich auch in der aktuellen Entwicklung des Museums wider, welches nun in zunehmendem Ausmaß aktuelle Konflikte thematisiert und auf politische Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen versucht. Die Verantwortung die wir als junge Generation tragen, ganz gleich ob in den Vereinigten Staaten oder in Österreich, ist es sowohl die Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten voranzutreiben wie auch gegen gegenwärtiges Unrecht auszusprechen, ganz gleich ob dies vor unserer Haustür oder in einem andern Kontinent stattfindet.

Das U.S. Holocaust Museum bietet diese Möglichkeit und ich hoffe daher nach meiner Rückkehr nach Washington als Freiwilliger wieder dort arbeiten zu können.

 

 

 

 

 

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Das USHMM, der 11te September und die Vergangenheitsbewältigung

Beitrag von Roland Engel[27]

 

 

 

Wie vielen meiner Gedenkdienstkollegen in diesem Buch bereits geschrieben haben ist es keine leichte Aufgabe die vielfältigen  Erlebnisse und Erfahrungen als Gedenkdienstleistender im US Holocaust Museum in wenigen Seiten zusammenzufassen. Auch für mich haben diese 14 Monate mein Leben von Grund auf verändert und in der positivsten Auslegung des Begriffes bis heute „auf den Kopf gestellt“:

Ich traf meine Frau Betsy Anthony im Museum und die tiefen Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden und den österreichischen ZeitzeugInnen waren ein zentraler Bestandteil unseres Beziehungsalltags und unserer gemeinsamen Arbeit vor Ort. Daneben war die intensive Auseinandersetzung mit Österreichs Täterrolle während des Nationalsozialismus durch die Recherchetätigkeit im „Senior Historians Office“, gekoppelt mit grundlegenden neuen Erkenntnissen über die Nazi-Vergangenheit meiner Großeltern, ein wesentlicher Baustein unseres heutigen unter anderem auch beruflichen Umgangs mit dem Thema „Vergangenheitsbewältigung/Erinnerungsarbeit.“

 

Die ersten Eindrücke des USHMM und 9/11

Es brauchte einige Zeit bis ich mich bei über 20 neue MitarbeiterInnen alleine in unserer Abteilung im Holocaust Memorial Museum orientiert hatte (für viele im Museum liefen auch wir schlicht als „the Gedenkdienst“) dazu das ständige Kommen und Gehen der internationalen „Fellows“, der auf Stipendium eingeladenen Holocaust ExpertInnen, die ob der Unterschiedlichkeiten ihrer Herkunft und ihrer Spezialisierung immer für spannende Diskussionen und interessante Begegnungen sorgten. Über die sozialen Beziehungen spannten sich oft sehr ausgelassene Events  und gemeinsame, oft exzessive Ausgeh-Abende der MuseumsmitarbeiterInnen mit den Fellows, immer umrahmt mit einen rabenschwarzen Humor, der Außenstehenden gegenüber immer diskret verschwiegen wurde, eine Art kompensatorisches Ventil, wie es im Museum so hieß, für die oft emotional belastende Auseinandersetzung mit der  Holocaust-Thematik im Alltag.

 

Die ersten  2 Monate meiner Tätigkeit  waren noch stark gekennzeichnet durch die Neuorientierung in dieser großen Institution und vor allem durch die Begegnungen mit österreichischen ZeitzeugInnen, dem sich zurechtfinden in einer neuen Stadt und natürlich durch die Ereignisse vom 11.September 2001 und deren Folgen.

 

Ich kann mich noch gut erinnern wie ich am besagten Tag, gerade als ich das Museum betreten wollte, den gewaltigen Einschlag des entführten Flugzeugs in das Pentagon hörte, das nicht sehr weit vom Holocaust Museum entfernt liegt. Nach den ersten erschreckenden Bildern aus dem Fernsehen, die noch so surreal und so fern wirkten folgte das körperliche Gefühl des Schocks und der Angst und ich dachte: das ist real und es passiert jetzt, hier!!

Aus dem Museum strömten Menschenmassen, die bekannten Gesichter von MitarbeiterInnen, kreidebleich und geschockt, das generelle Gefühl der Hilflosigkeit. Am beeindruckendsten bleiben aber die Reaktionen der im Museum arbeiteten Holocaust-Überlebenden in Erinnerung: im Gegensatz zu vielen anderen waren die meisten besorgt aber gefasst, wieder und wieder hören wir  auf Nachfrage die selben Worte: egal was noch kommt, wir haben damals schon schlimmere Krisen überstanden/überlebt, das wichtigste ist das wir alle hier in Sicherheit bleiben und nicht in Panik geraten. Diese  auf so undenkbar schmerzvolle Erfahrungen beruhende Reaktionen hat in den folgenden Stunden, in denen wir ja noch nicht wußten ob nicht noch schlimmere Angriffe folgen würden (immerhin waren wir im Mittelpunkt der Hauptstadt) eine stark beruhigende Wirkung auf vielen von uns MitarbeiterInnen, und zeigte auf einen ganz andere Weise wie gegenwärtig auch die emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust und der Kontakt und die Beziehungen mit Überlebenden in extremen Situationen sein kann.

 

Nach einigen Wochen kehrte jedoch wieder der „Alltag“ ein, ein Alltag der im Holocaust Museum jedoch nie Routine wurde, da die Gedenkdiensttätigkeit dort von ständigen neuen und in jeder Hinsicht aufregenden Begegnungen und (Selbst)Erkenntnissen geprägt war.

 

Wie schon von anderen Gedenkdienstkollegen ihren Berichten  und Peter Black in seinem Interview erwähnt wurde,  liegt der besondere Reiz der Gedenkdienststelle im USHMM Historians Office darin, dass unser Chef Peter Black  jedem Gedenkdienstleistenden neben den bereits beschriebenen Recherchetätigkeiten mit viel Unterstützung die Möglichkeit öffnete die eigenen individuellen beruflichen Fähigkeiten und Ausbildungen (die meisten von uns schon zw. Mitte und Ende Zwanzig) einfließen zu lassen. Dazu war Peter Black  nicht nur einer der hervorragensten Experten in der weltweiten Holocaust-Täterforschung, sondern auch wie die Historikerin Patricia Heberer, aufgrund der fließenden Deutschkenntnisse und der während des Studiums erworbenen Kulturkenntnisse über den Deutschsprachigen Raum sehr gut in die Lage sich nicht nur inhaltlich sondern auch psychologisch in die Situation von Österreichern der 2. und 3 Generation hineinzuversetzen.

 

Begegnungen mit den Überlebenden im USHMM

Der bei weitem für mich bedeutendste Anteil meiner „Tätigkeit“ waren die Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden und die gemeinsamen Auftritte bei Veranstaltungen zum Thema „Reconciliation“ (Dialog/“Wiederversöhnung“).

Begonnen hat alles mit einer Einladung von Betsy Anthony, der stv. Direktorin des Büros für Überlebendenangelegenheiten, welche die Vernetzung der in den USA lebenden Überlebenden koordinierte. Durch sie lernte ich die Organisation „Grandchildren of Holocaust-Survivors“ kennen. In den ersten gemeinsamen Treffen zeigten sich neben völlig unterschiedlichen Welten in denen wir aufwuchsen, oft unheimliche Parallelen der eigenen Familien im Umgang mit dem Thema. Das Schweigen, das sich über die Generationen erstreckte, die Unklarheit darüber was die Großeltern damals wirklich erlitten bzw. als Involvierte getan hatten. Die Schuldgefühle unserer Eltern aus völlig unterschiedlichen Motiven. Dann das Unverständnis der 3. Generation, warum die wirklichen „heiklen“ Informationen Ihnen gegenüber verschwiegen wurden, und dass unsere jeweilige Familiengeschichte Teil unserer Sozialisation ist, und damit auch uns betrifft. Es folgten gemeinsam organisierte Vorträge im Museum und Einladungen von Überlebenden- Organisationen an der Ostküste und in Florida über Gedenkdienst und wie es der 3. Generation in Österreich mit ihrer kollektiven Verantwortung und dem (mangelnden) Umgang ihres nationalsozialistischen Erbe.

 

Betsy und ich verliebten uns (ineinander) und durch die Beziehung, den erwähnten Vorträgen und Dialogen lernte ich viele KZ-Überlebende kennen, da  die meisten mit Betsy eng befreundet waren. Die ersten Begegnungen waren beiderseitig durch sehr vorsichtige und behutsame Annährungen gekennzeichnet: anders als bei den österreichischen ZeitzeugInnen die seit Jahren mit uns GDL einen engeren Kontakt hielten, stammten die meisten KZ-Überlebenden aus Polen, der ehemaligen Tschechoslowakei oder den Baltischen Ländern und hatten oft als einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt. Fast alle hatten seit  dem kaum einen Österreicher oder Deutschen kennengelernt, geschweige je von Gedenkdienst gehört. Die Vorsicht wich bald einem herzlichen Aufeinanderzugehen (sicher half auch die Tatsache,  dass ich Betsys Freund war:-) und bald wurden innige Freundschaften daraus. Aus Menschen aus einer völlig anderen Kultur, einer anderen Muttersprache, einer anderen Generation, die Opfer meiner Großelterngeneration waren wurden ältere Freunde, die mich mit ihrer Lebenserfahrung berieten und mit ihrem Humor ansteckten und von denen ich vor allem „Zuhören“ in einer neuen Dimension erlebte und so kitschig es klingt, vor allem eines lernte: Dankbarkeit für das was man jetzt gerade hat.

 

Mit der Zeit und mit viel respektvoller Behutsamkeit näherten wir uns auch den „heikleren“ Fragen, die unausgesprochen zwischen uns lagen: wie gehst du mit der Tatsache um, dass ich  Überlebender/bzw. 3.Generation aus einem Täterland bin? Wie geht es Juden in Österreich heute und wie steht deine Generation wirklich zum Thema Vergangenheitsbewältigung?

Welche „Bilder“ hast du von Juden bzw. von Österreichern/Deutschen?

Und natürlich auch:

 

Und was haben deine Eltern damals gemacht?

Diese Frage wurde auch während der Vorträge und der gemeinsamen Dialogprojekte immer wieder gestellt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte war während der Gedenkdienstvorbereitungen immer wieder Thema, aber kaum jemand sprach öffentlich über Details, vor allem wenn man aus einer Familie mit eindeutigem Nazi-Hintergrund stammte.

 

Meine Familie entsprach der typischen österreichischen Sozialisation: der eine Familienteil erlebte sich  eher als Opfer (Großvater war zu alt für die Wehrmacht, Großmutter entging als Engländerin gewaltsame Gestapo-Verhöre). Das war ein für mich bis dato ein „bequemer“ Hintergrund für ein selbstgerechtes Familienverständnis, der Blick auf die Mitläufer und Täter von damals lief unter dem Motto: „wie konnten die nur.“

Der andere Großelternteil verschwimmt im Nebel der kollektiven Familienamnesie, später wird klarer dass es um etwas anderes geht: das verschämte Schweigen als Produkt des mangelnden Umgangs mit der Frage: wie konnte der so als liebevoller und „menschlich“ bekannte Vater/Großvater gleichzeitig so ein glühender Nazi mit so einem tief unhinterfragten verankerten Antisemitismus sein?

 

Ich gehe einer Empfehlung nach und finde die NSDAP-Akte der Großeltern im Nationalarchiv in Washington, DC. Es war ein surrealer Augenblick, ein unerwarteter Schock, durch das Mikroskop im  Mikrofilm das Antragformular der NSDAP Mitgliedschaft beider Großeltern aus dem Jahr 1938 zu finden, mit einer Anmerkung das es sich um verdiente „illegale“ Nazis mit Leitungspositionen seit 1932 handelte. Daneben die Akte des Großonkels, SS- Unterscharführer und Propagandasprecher des Gaus.

 

Damit wurde aus der eigenen Erfahrung auch klarer warum in so vielen Familien geschwiegen wird. Aus späteren Gesprächen mit anderen aus der 3. Generation, die  unter anderem viel mehr involvierte Großeltern hatten ergibt sich immer wieder dasselbe Szenario: der Schock, dass das Bild vom liebevollen und oft „weisen“ Opa nicht deren tatsächliche Rolle in der damaligen Zeit entspricht. Die Schamgefühle der 2.Generation und dem daraus resultierenden Schweigen. Ein letztes Telefongespräch mit der besagten Großmutter vor ihrem Tod: sie ist froh, dass ich Gedenkdienst mache, da es „etwas von dem wiedergutmacht, wo wir selbst auch, zumindest ideologisch, mitbeteiligt waren.“ Ich rang damals mit den widersprüchlichen Gefühlen zwischen völliger Ablehnung und Unverständnis („wie konntet ihr nur...“) der Wut über das Schweigen und Berührtheit über diese letzten Worte.

Die oft allgemein rhetorische gestellte große Frage bekommt durch das genauere Wissen der Lebensumstände der Familie eine andere, neue Relevanz: hätte ich damals in ihren Schuhen in dieser Zeit den Mut gehabt anders zu sein, gegen den Strom zu schwimmen, Widerstand zu leisten? Ich hoffe es, ich werde es nie wissen, aber wie leicht lässt sich das aus heutiger Sicht sagen?

Die Erkenntnis, dass sich dem Anpassungsdruck zu beugen niemals eine Alternative zu Zivilcourage sein kann, scheint allerdings oft im Augenblick des Tuns die größte Herausforderung zu sein, damals wie heute. Und genau das macht das Thema so zeitlos und aktuell.

 

Um so größer die Achtung vor denjenigen die damals trotz der oft bestehenden Gefahren doch  nicht mit gelaufen sind, die Menschlichkeit gezeigt haben, Menschen gerettet haben und Widerstand gezeigt haben.

 

Vor dieser persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und deren Bedeutung für die kollektive Sozialisation eines Landes,  philosophierte ich gerne sehr abgehoben und locker über die gesellschaftspolitischen und soziologischen Auswirkungen der mangelnden österreichischen Vergangenheitsbewältigung. Seit dem wird für mich aus eigener Erfahrung klarer:

das eigentliche „Bewältigen“ und offene Reden über unserer NS-Vergangenheit beginnt  für die meisten von uns ÖsterrecherInnen erst  in den eigenen Familien, dort wo die Auseinandersetzungen darüber und auch die kollektive Sprachlosigkeit  unter die Haut gehen und an den Grundfesten überlieferter Familienbilder und Einstellung rüttelt.

 

   Vier Jahre später leben Betsy und ich  verheiratet in Wien und leiten gemeinsam mit unserer Kollegin Dr. Susanne Ogris, der Leiterin der Anne Kohn-Feuermann Tagestätte regelmäßig Workshops und Vorträge sowie die Jüdisch-Österreichische Dialoggruppe des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung zum Thema Erinnerungsarbeit/Vergangenheitsbewältigungen und Dialog zwischen den Generationen.

 

   Das  Jahr als Gedenkdienstleistender im USHMM  war sicher mein wichtigstes und bedeutendstes Jahr bisher, vor allem Dank der tollen Betreuung von Peter Black, Patricia Heberer, Gerry Schwab, Martin Goldman und den KollegInnen im Center,  der Inspiration von Ari Roth, und den herzlichen  Beziehungen zu den österreichischen ZeitzeugInnen, vor allem möchte ich an dieser Stelle Leo Brettholz, George Czuchka, Melita Rodek, Kurt Grübler, Regina Espenshade, Shoshana und dem leider viel zu früh verstorbenen Felix Yokel  und „last but not least“ meiner „Bobbe“ Flora Singer und den Holocaust-Überlebenden des USHMM danken.

 

 

 

 

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Beitrag Roman Kopetzky, USHMM Gedenkdienstleistender (1999 / 2000)

 

 

 

Auf der Auswahlkonferenz des Vereins Gedenkdienst im Dezember 2005 sprach mich Stefan Stoev zu seinem Buchprojekt über seine Zeit am USHMM an und fragte, ob ich einen Beitrag dazu leisten möchte. Ich freute mich doppelt, da ich zum einen die Gelegenheit erhielt, Stefan endlich persönlich kennenzulernen und zum anderen seine phantastische Idee, dieses Buch zu verwirklichen, unterstützen wollte.

Sechs Jahre ist bereits her. Vor sechs Jahren war ich als sechster Gedenkdienstleistender am USHMM in Washington. Auf der unlängst beendeten Auswahlkonferenz des Vereins hatten wir gerade den 13. Intern für das Museum ausgewählt.

Bei dem Gedanken an einen möglichen Beitrag für dieses Buch fiel mir immer wieder eine ganz spezielle Anfrage ein, die ich im Rahmen meiner historischen Recherchen am Center for Advanced Holocaust Studies beantwortet hatte. Sie wird mir immer in Erinnerung bleiben, sie hat mir im wahrsten Sinn des Wortes die Augen geöffnet.

In meinem dritten Tätigkeitsbericht an das Innenministerium findet sich dazu „nur“ der folgende Eintrag:

 

Erstellen eines ausführlichen Berichtes zu Masha Bruskina, einer jüdischen, weiß-russischen Widerstandskämpferin, die am 26. Oktober 1941 in Minsk erhängt worden ist und von deren Exekution zahlreiche Bilder existieren

 

Es war Ende Mai 2000 und begann mit einer Anfrage zum Namen Masha Bruskina und was das Museum alles dazu wusste. Mir war der Name zum damaligen Zeitpunkt kein Begriff und so begab ich mich ins Archiv auf die Suche.

Nach wenigen Stunden war klar, dass es sich um eine weißrussische, jüdische Widerstandskämpferin handelte. Sie verhalf vorwiegend sowjetischen Offizieren mit zivilen Kleidungsstücken und gefälschten Papieren in einem Kriegsgefangenenlager zur Flucht.

Nach ihrer Verhaftung verriet sie trotz schwerer Folterungen nichts. In den Straßen von Minsk wurde sie gemeinsam mit anderen Widerstandskämpfern mit einem Schild „Wir sind Partisanen, die deutsche Soldaten erschossen haben“ an den Pranger gestellt. Im Oktober 1941 wurde sie dort, so wie viele andere Widerstandskämpfer, am Galgen ermordet.

Ihr Fall war insbesondere speziell, da die weißrussischen Behörden sich lange Jahre weigerten, sie als Widerstandskämpferin anzuerkennen. In Historikerkreisen wurde vermutet, dass dies damit zusammenhing, dass sie Jüdin war und dieser Umstand mit den Zielen der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Deklaration als Widerstandskämpferin nicht vereinbar war.

Nachdem die Zusammenhänge einigermaßen klar waren, die Quellen identifiziert, bestätigt und ausgehoben, war nur noch eines zu tun. Es war oft beschrieben worden, dass es von den Ermordungen am Galgen viele Photos geben sollte.

 

So führte mich mein nächster Weg ins Photo-Archiv des Museums, mit über 65.000 Bildern im Zusammenhang mit dem Holocaust. Mir war eigenartig bang ums Herz, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde, aber eine düstere Ahnung hatte ich bereits.

In den elektronischen Katalogen versuchte ich alle Buchstabenkombinationen zu ihrem Namen und den anderen Menschen, die gemeinsam mit ihr am Galgen ermordet worden waren und stieß auf einige Referenzen.

Die Photos sind in großen Mappen organisiert und mit der entsprechenden Katalogzahl findet man die jeweiligen Einträge. Nichtsahnend ging ich mit meinen Katalogzahlen zu den entsprechenden Bänden und fing zu suchen an.

Dabei war es unumgänglich, durch die anderen Photos durchzublättern, bis ich an die gesuchte Stelle kam.

Und was ich dabei zu sehen bekam, ließ mir den Atem und beinahe mein Herz stocken: Unzählige Bilder von Exekutionen, peinlich genau dokumentiert, Erschießungen, Massengräber, Leichengräben gefüllt mit menschlichen Leibern, Menschen, die davor knieten, die Hände über den Kopf gefaltet hielten und auf den tödlichen Schuss warteten…

es war grauenhaft … unbeschreiblich…

Ursprünglich hatte ich nur vorgehabt, die Bilder zu Masha Bruskina zu finden, jetzt war ich aber mitten drinnen, und mit abgrundtiefem Ekel und gleichzeitig einer tödlichen Faszination, konnte ich nicht umhin, als immer weiter zu blättern…

Irgendwann, ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hatte, hörte ich auf. Ich hatte die gesuchten Bilder gefunden, und jeden Band, in dem eines vorkam, durchgeblättert.

Ich war in meinem Innersten für lange Augenblicke taub, unempfindlich, grau geworden. Grau, wie die schwarz-weißen Photos, die mit unerbittlicher Schärfe den Alltag des Wahnsinns dokumentierten.

Am frühen Abend packte ich noch völlig benommen meine Sachen, verlor so gut wie kein Wort mehr zu Hause und fiel in einen erlösenden Schlaf, durchsetzt mit Bildfetzen aus dem Archiv.

Für mich war das eine der wertvollsten und gleichzeitig schlimmsten Erfahrungen, da ich für mich angefangen hatte zu verstehen, wie zerbrechlich ein menschliches Leben ist, wie leicht es ausgelöscht werden kann und wie viele Male ein einzigartiger Mensch mit seinen Träumen, Freuden, Hoffnungen, Kindern, Familien, Freunden, Ängsten und Zielen in der Geschichte des Holocaust ermordet worden war.

Diese direkte Konfrontation mit so vielen Schicksalen einzelner Menschen, dokumentiert und erhalten bis zum heutigen Tag, ließ mich noch besser erahnen, was Menschsein bedeutet und anrichten kann - wie wertvoll und gleichzeitig empfindlich das Geschenk des Lebens ist. Und für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Ohne die Möglichkeit, den Gedenkdienst zu machen, ohne die vielen engagierten Leute im Verein, ohne die einzigartige Einrichtung des USHMM Museum und den Menschen, die dort konzentriert und teils freiwillig das Andenken und die Erinnerung bewahren, hätte ich das in dieser Form nicht erleben können.

 


 

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Anton Legerer[28] - Erster Gedenkdiener in Washington

 

Der Besuch einer alten Dame und ihre Bedeutung

 

Bald nach meinem Dienstbeginn als Gedenkdienstleistender im U.S. Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington, D.C. im Oktober 1993 wurde ich von einem Kollegen zum Auskunftsschalter der Bibliothek geholt. Dort erwartete mich Helen Otley, mittelgroß, schlank und 82 Jahre alt, wie ich später von ihr erfahren habe. Sie hatte nach mir gefragt und mich holen lassen. „Ich wollte mir den Österreicher hier einmal anschaun“, sagte sie bei dieser ersten Begegnung unverblümt. Im Nachrichtenblatt des Pressedienstes der österreichischen Botschaft hatte sie kurz zuvor von der Ankunft des ersten Gedenkdienstleistenden im USHMM gelesen, und war als erste einer Reihe von vormals verfolgten ÖsterreicherInnen zu mir in die Forschungsabteilung des Museums gekommen. Die kurze gegenseitige Befragung mündete in eine Einladung durch Helen Otley in ihr Haus in den Washingtoner Vorort Rockville. Von da an war ich regelmäßiger Gast im Hause Otley und besuchte sie etwa einmal im Monat.

 

„Besuch einer alten Dame“ habe ich diese erste Begegnung in einem Beitrag für das Presse Spectrum genannt, in dem ich von meiner Begegnung mit ihr und von ihrer Lebensgeschichte erzählte. Helen Otley freute sich über diesen Titel meiner Kurzgeschichte. Mit der Zeit entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, obwohl die Besuche eine Herausforderung bedeuteten, nicht nur, weil sie immer länger dauerten als im Voraus geplant. Helen Otley hatte ein breites Interessensspektrum und bereitete sich auf meine Besuche mit Literatur und Spickzettel vor. Wenn ich bei ihren raschen Themenwechsel einmal nicht mitkam oder eine blamable Wissenslücke offenbarte, machte sie eine konsternierte bis ungeduldige Miene. Nichtsdestotrotz bot sie mir bald das Du-Wort an, und von da an duzten wir einander. Nach meiner Rückkehr nach Wien im Oktober 1994 telefonierten Helli und ich in unregelmäßigen Abständen - meistens rief sie an, immer mit einer Liste von Themen in ihrer Hand, damit nichts zu besprechen vergessen würde, und auch damit die Telefonate nicht zu lang und zu teuer würden. Helli lebte nämlich sparsam, weil sie ihr Vermögen sozialliberalen NGOs (United Farm Workers of America, Amnesty International, Southern Poverty Law Center) möglichst ungeschmälert hinterlassen wollte. Sie verstand sich mehr als Verwalterin fremden Vermögens denn als Verfügungsberechtigte. Wien besuchte sie zum letzten Mal 1995 - bei dieser Gelegenheit habe ich Helli auch zum letzten Mal gesehen. Über Heimo Gruber (Autor von „Bücher aus dem Schutt“ über die Situation der städtischen Bibliotheken nach 1945), der über meinen Spectrum-Artikel Helen Otley als frühere Mitarbeiterin der Städtischen Bibliotheken in Wien wieder erkannte, wurde eine Veranstaltung in der von Helen Otley vormals geleiteten Bücherei in der Weimarerstraße organisiert, bei der sie ihr Buch („Wien, Auschwitz, Maryland“, erschienen 1995 im Verlag Haag und Herchen, Frankfurt/Main) vorstellte.

 

Helen Otley war eine komplexe Persönlichkeit, eine musisch begabte Naturwissenschaftlerin, die beispielsweise einen Zufall als „Zusammentreffen von Ereignissen, für die unseres Wissens keine Korrelation besteht“ definierte (S. 47 in Helen Otley: „Wieder einmal Menschen werden“, 1995, Verlag Haag und Herchen, Frankfurt). Unsere Zeremonie des gemeinsamen Teetrinkens leitete sie mit Ausführungen über eine physikalische Optimierung zur Erlangung und möglichst langen Bewahrung der optimalen Trinktemperatur ein (praktisch habe ich das nie verstanden; gemerkt habe ich mir, dass sich die Theorie sich auf das Ausnützen von unterschiedlichen Temperaturdifferenzen bezog). Auch nach ihrem unerwarteten Tod am 13. Jänner 2003 - sie war in ihrem Zuhause in Rockville friedlich eingeschlafen - lässt sich Person und Schicksal der am 13. Oktober 1911 in Wien geborenen Helene Schlesinger mit den bekannten Stereotypen nur unzulänglich fassen: nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich verließ Helene Schlesinger im Jänner 1939 Wien - um nach Berlin und später weiter nach Dresden zu ziehen, wo sie Arbeitsstellen als Physikerin fand. Dabei hatte sie mit den Nazis, jedenfalls weltanschaulich, nichts zu schaffen. Es war der Verlust vieler FreundInnen, die aus Wien ausgewandert waren bzw. auswandern konnten, und wirtschaftliche Notwendigkeit, weil Vaters (Moritz Schlesinger: Das verlorene Paradies. Ein improvisiertes Leben in Wien um 1900, Picus Verlag 1993) Bahnbeamtenpension nicht ausreichte, vier Personen zu ernähren, die sie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zunächst in die Reichshauptstadt Berlin und dann nach Dresden ziehen ließen. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Wien, wo sie eine Stelle bei der Siemensniederlassung antreten sollte, wurde sie im September 1942 verhaftet - weil sie in Berlin Kontakt zu einer kommunistischen Gruppe gehabt hatte, die von den Nationalsozialistischen entdeckt worden war, und deren Mitglieder verfolgt wurden.

 

Nun, erneut schwer fassbar: Helene Schlesinger war keine Kommunistin, sie verstand sich zeit ihres Lebens als Sozialdemokratin, und sie verabscheute revolutionäre Gewaltfantasien, und wären es solche von links. Nach zweimonatigen Verhören wird sie nach Auschwitz deportiert, wo sie bis März 1943 festgehalten wird, dabei nur knapp dem Tod durch Fieber und Entkräftung entkommt. Ihre Nummer war 26022. Helene Schlesinger war keine Jüdin - ‚nur’ der Großvater väterlicherseits war Jude (der Wiener Journalist und Bühnenautor Sigmund Schlesinger). Ihre Überstellung aus dem Konzentrationslager Auschwitz wurde aufgrund des Gerichtsverfahrens wegen Beteiligung an der „Vorbereitung zum Hochverrat“ veranlasst, das sie nun in Berlin-Moabit erwartete, und das ihr paradoxerweise das Leben rettete. Vom rechtlosen Konzentrations-/Vernichtungslager Auschwitz kehrte sie zurück ins ‚reguläre’ Justizsystem des Deutschen Reiches. Als kleiner Fisch im Hochverratsprozess wird sie zu zweieinhalbjähriger Gefängnisstrafe ‚verurteilt’, am 2. März 1945, kurz vor Ablauf ihrer ‚Strafe’ wird sie entlassen, und Helene Schlesinger fährt zurück nach Wien, zu ihren Eltern in die Fenzlgasse 22 im Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus.

 

In Wien versuchte Helene Schlesinger an die Vorkriegszeit anzuknüpfen, und sie beteiligte sich an der sozialdemokratischen Bildungsarbeit, unter anderem schrieb sie für die Arbeiterzeitung, verfasste das politisches Theaterspiel „Eulenspiegel in Wien“ und war Personalvertreterin. So richtig Fuß fassen, so ließ sie es in ihren Erzählungen immer wieder durchblicken, konnte sie aber nicht mehr. Ihr Bruder war im Krieg gefallen, ebenso viele Freunde, eine Arbeitsstelle als Physikerin - sie hatte 1937 in Wien in Physik promoviert - war nicht zu bekommen. 1946 begann sie bei den Wiener Städtischen Büchereien zu arbeiten. Sie leitete die Zweigstelle Weimarer Straße und ab 1953 die damalige Bücherei Stumpergasse. 1955 wechselte sie als Mathematikerin in das Statistische Amt der Stadt Wien. Schon 1951 hatte sie ihren Bibliothekarskollegen Karl Beck geheiratet, der aber schon 1960 verstarb.

 

Nach Karl Becks Tod nahm sie einen regen Briefwechsel mit einem jüdischen Jugendfreund - Kurt Österreich, der in die USA entkommen konnte, wo er seinen Namen in Otley änderte, und dessen erste Frau ebenfalls bereits verstorben war - auf, der 1962 zur Eheschließung mit Kurt Otley und zu ihrer Übersiedelung nach Rockville-Maryland führte. Helen Otley wurde Hausfrau, was ihr gar nicht recht behagte, wie in den Erzählungen durchklang. Ab und zu veröffentlichte sie Reiseberichte in der Gewerkschaftszeitung in Österreich. Trotz dieses von Ehemann Kurt erzwungenen Hausfrauendaseins - „Er wollte immer, dass ich für ihn da war, wenn er nach Hause kam“, vertraute mir Helli einmal an - und trotz ihrer Wien- und Österreichnostalgie war sie in ihrer neuen Heimat glücklich. Sie war Spätexilantin, eine Spätvertriebene, eine Überlebende von Auschwitz, die das Nachkriegsleben in Wien nicht mehr so recht verkraften konnte, die nicht mehr anschließen konnte an die zerstörte Welt der Zwischenkriegszeit.

 

Für Helli waren unsere Begegnungen - ebenso wie die erwähnten späteren Telefonate - wohl ein wenig Kompensation für unerfüllte nostalgische Erinnerungen. Das gilt übrigens auch für alle meine Gedenkdienst-‚Nachfolger’, die Kontakt mit Helli hatten. Wir kompensierten wohl auch ein wenig die aufgrund seiner Krankheit nicht mehr möglichen Gespräche mit Ehemann Kurt, der, wenn ich mich recht erinnere, schon 1995 verstarb, die letzten Jahre seines Lebens nicht mehr ansprechbar und bettlägrig war. Unsere Begegnungen ermutigten Helen Otley zur bereits angeführten Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichte, nicht zuletzt war das Gedenkdienst-Netzwerk an der ‚Geschichtsaufarbeitung’ beteiligt: der im Archiv des Museums Auschwitz zur gleichen Zeit wie ich in Washington, D.C. Gedenkdienst leistende Daniel Werner besorgte die ‚Häftlingsfotos’ und historische Daten der Einlieferung und Entlassung. Auch von Lena Gitter, einer Montessori-Pädagogin, habe ich erfahren, dass unsere Begegnungen - sie lud mich stets zum Abendessen an ihren deutschsprachigen Tisch im Chevy Chase Altersheim ein - Anregung dafür war, dass sie ihre Lebensgeschichte einem Journalisten erzählte („Das große Glück der Lena Lieber Rosenblatt-Gitter, 1996 Styria Verlag, Graz).

 

Für mich selbst war die Begegnung mit Helen Otley, die ich hier stellvertretend für zahlreichen Begegnungen mit anderen aus Österreich, zumeist aus Wien stammenden Überlebenden aus Ausgangs- und Mittelpunkt heranziehe, aus mehreren Gründen von zentraler Bedeutung: für mich persönlich, weil ich damit fehlende, bislang vorenthaltene Mosaiksteine in der mir vermittelten österreichischen Zeitgeschichte vermittelt erhielt. Diese ‚Vermittlungsarbeit’ durch Überlebende wie Helli Otley ging weit über die zumeist sogar verschwiegene oder abgekürzt erzählte Leidenserfahrung der Verfolgung durch die Nationalsozialisten hinaus. Ausgerechnet von Überlebenden habe ich eine Idee vom jüdischen wie nichtjüdischen Alltag im Wien der Zwischenkriegszeit bekommen, wie sie in literarischer Form bei Ruth Klüger („weiter leben - eine Jugend“, erschienen 1992 in Göttingen, Wallsteinverlag) ebenso eindrücklich geschildert ist, und wie sie vor Ort auch in Ansätzen nicht rekonstruierbar war. Dass ich dieses Wissen nicht in den renommierten Privatschulen der Schulbrüder oder der Marianisten, in die mich meine Eltern schickten, und auch nicht in der öffentlichen Schule der weiterführenden Schule vermittelt erhielt, erkläre ich mir durch die soziologische Zäsur: Der Verlust und der - von den ‚übrig gebliebenen’ selbst verschuldete - ‚Aderlass’ der 1930er und 1940er Jahre waren wohl zu groß und mussten deshalb bis lange in die 1990er Jahre verleugnet und verschwiegen werden. Nicht nur aus Pflichterfüllung (Waldheim) oder Bosheit (Haider) sondern auch aus Unfähigkeit war der realisierte Tabubruch der nationalsozialistischen Vernichtungsprogramme tabu. Am signifikantesten in der Begegnung mit Überlebenden ist deshalb das Fehlen des Tabus, nicht immer auf der Ebene des Einzelnen - wer auch möchte schon das Trauma der Demütigung bis hin zur Todesangst immer wieder thematisieren und verbalisieren? Mit der Aufhebung des Tabus konnte ich für mich eine Lücke schließen: Mein Empfinden des vielfachen Verlustes - an bloßem Geschichtswissen anfangs, schließlich an Kultur, an Moral und nicht zuletzt an Humanität - dieses Empfinden, selbst von einer Gesellschaft gezeugt und aufgezogen worden zu sein, die so vieler Werte verlustig wurde, und die so selbst zur verlorenen, wenngleich materiell wohlhabenden, Gesellschaft wurde, trat an die Stelle des unspezifischen Unbehagens, das mich überhaupt erst den Weg zu Gedenkdienst einschlagen hat lassen. Das vordergründige Paradoxon eines ‚Gewinnes an Verlustempfinden’ anstelle eines unspezifischen Unbehagens hat sich als erkenntnisbringend und konstruktiv erwiesen.

 

Neben den emotionalen Bindungen, die jede einzelne dieser Bekanntschaften und Freundschaften in sich birgt und barg, habe ich 1993/94 das „Potenzial“ der Vertriebenen, der Überlebenden, der Emigranten nicht nur für mich erkannt, sondern konnte meine Erfahrungen und Erkenntnisse auch in den Gedenkdienst einbringen. Damit erschließt sich der zweite große Bedeutungsrahmen: Die Begegnung mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung wurde Bestandteil des Gedenkdienstes. Neben vielen persönlichen Beziehungen zwischen Gedenkdienstleistenden und Überlebenden, die etwa meine ‚Nachfolger’ als Gedenkdienstleistende im USHMM weiterführten und ausbauten, wurde, dank der Bereitschaft der ‚Gedenkdienstler’ zur Auseinandersetzung mit den Vertriebenen, ein von Gedenkdienstleistenden entwickeltes und seither betreutes Programm (Austrian Heritage Collection am Leo Baeck Institute in New York) und die Betreuung von Überlebenden in Bezug auf ihre Entschädigungsansprüche in die Aktivitäten des Gedenkdienstes aufgenommen.

 

Ich bin froh, dass ich Hellis Lebensgeschichte in Österreich publizieren und so nach Wien zurückbringen konnte, dass ich eine Mitbewohnerin in Washington, D.C, die gerade eine Journalismusausbildung absolvierte, anregen konnte, über Helen Otley in einer regionalen Zeitung in Maryland einen Bericht zu veröffentlichen. Ich bin dankbar, dass Helli meine Familie zu sich eingeladen hatte, als diese mich 1994 in Washington besuchte. Ich bin traurig über den Verlust von Helli, die mir stets als lebendige, quirlige, musisch begabte und zugleich naturwissenschaftlichem Denken verpflichtete Freundin - und als ‚alte Dame’ - in Erinnerung bleiben wird. Helli Otley und ihr Ehemann Kurt verstarben kinderlos, haben auch keine entfernteren Verwandten hinterlassen, ein Schicksal, das einige der mir bekannten Vertriebenen teil(ten). Deswegen ist es mir besonders wichtig, dass ihre Geschichte nicht ganz verloren geht. Von den vielen anderen Vertriebenen aus meiner Washingtoner Zeit, von denen mehrere bereits verstorben sind, möchte ich abschließend einige namentlich anführen: Fred Hift (Journalist, New York, verstorben), Lena Gitter (Montessori-Pädagogin, Washington, D.C. verstorben), Melita Rodeck (Architektin, Washington, D.C), Ruth Binder (Washington, D.C.), Kurt N. Grübler (ein guter Bekannter Helen Otleys, Rockville), Fred Friedman (ursprünglich aus Salzburg, Anwalt, Clarence), Max (bereits verstorben) und Alix Kowler (Hoteliers, Tucson), Elizabeth und Ernest Koenig (Elisabeth leitete die Bibliothek im USHMM, Alexandria), Robert und Maria Bauer (Washington, D.C.) und Hans Holzapfel (Fairfax). Gemeinsam mit Helli Otley haben sie mir - und anderen Gedenkdienstleistenden - einen wesentlichen Teil der Geschichte vermittelt. Die zahlreichen und in vielen Fällen weit über die ‚Gedenkdienstzeit’ hinaus reichenden Begegnungen haben meinen Gedenkdienst Sinnvoller gemacht und meine persönliche Entwicklung nachhaltig bereichert.

 

 

 

VI. Zusammenhänge

 

 

 

 

Eindrücke der Gedenkdienstleistenden aus den anderen Einsatzstellen

 

Auschwitz Internationale Jugendbegegnungsstätte

Vlad-Adrian Despa

 

 

Hi Stefan,

 

Die letzten zwei Jahre sind sehr schnell vergangen, ich kann mich erinnern wie wir im Oktober 2003 am Südbahnhof standen, Richtung Prag-Terezin, ohne irgendwen aus unserem Jahrgang zu kennen und voller Erwartungen über unsere Gedenkdienst-Zukunft. Jetzt haben wir Oktober 2005 und die 14 Monate Gedenkdienst, mit so vielen unvergesslichen Erfahrungen und bleibenden Eindrücken, liegen hinter uns. Für mich waren es die beeindruckensten 14 Monate meines Lebens.

In ein paar Sätze fasse ich meine Eindrücke wie folgt zusammen:

"Der 14-monatige Dienst an der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oœwiêcim/Auschwitz stellt für mich einen Zeitraum dar, in dem ich unvergessliche Eindrücke gesammelt habe. Diese Eindrücke beruhen auf Gespräche mit ehemaligen Häftlingen des KL-Auschwitz, auf Dialoge mit Teilnehmer(n)/-innen der von mir betreuten Gruppen oder einfach auf die unzähligen und erkenntnisreichen Diskussionen mit Arbeitskolleg(en)/-innen. Ich bin mir sicher, dass ich mein ganzes Leben lang auf diese Erfahrungen zurückgreifen kann und diese mich auch in meiner Denk- und Handlungsweise geprägt haben."

 

Berlin Anne Frank Zentrum

Florian Druckenthaner

 

   Die Gedenkdienstzeit im Anne Frank Zentrum in Berlin hat mich in vielen Dingen geprägt und meiner Lebensplanung Möglichkeiten eröffnet, die ich zuvor nicht in Erwägung gezogen habe.

 

   So habe ich diesen Herbst mein Wunschstudium an der Uni-Potsdam aufgenommen und setze nebenbei meine pädagogische Arbeit mit Jugendlichen fort, wodurch ich mich immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt fühle und einem ständigen Sensibilisierungsprozess unterliege. Vergleichbare Erfahrungen hätte ich in Wien nie sammeln können. Deshalb bin ich dem Verein Gedenkdienst sehr dankbar für diese Chance und hoffe, dass auch in Zukunft viele junge Österreicher das Potential eines solchen Freiwilligendienstes erkennen und ihn auch in Anspruch nehmen können.

 

 

Budapest Ungarische Auschwitz Stiftung

Stefan Hameseder

 

 

Lieber Stefan!

 

Tut mir leid, dass ich auf meinen Bericht warten ließ, aber ich bin zurzeit weiter in Budapest beschäftigt, studiere und arbeite in Wien. Ich fand eben leider nicht die richtige Zeit und Muße zur Schilderung meiner eindrücke.

 

Aber hier sind sie:

 

Für mich waren meine vierzehn Monate in Budapest eine sehr bereichernde schöne, aber auch manchmal anstrengende Zeit, die ich sehr genossen habe. So sehr, dass ich mich nicht wirklich von dieser mir schon bekannten(oberflächlich), aufregenden, beeindruckenden und interessanten Krone des gesamten Donaugebietes (zumindest dieses) nicht trennen kann.

   Ich habe die Aufgabe der mir relativ neuen, ungewohnten (bevorzuge als Bildhauer klarerweise arbeit mit Augen und Händen, Geist und Seele anstatt dem "einfachen" Sitzen vor einem PC), aber zum glück auch sehr interessanten Haupttätigkeit (v.a. Korrespondenz & Lektorat) während meines Zivilersatzdienstes gut gemeistert.

   So habe ich aber jetzt in meinem sozusagen zweitwohn- und Arbeitssitz im Zentrum von Budapest die zeit die Inspiration dieses Ortes noch mehr aufsaugen und mich so ausgiebig der Kunst (bildende & nun auch d. Poesie), der Kultur oder einfach nur der Stadt und seinen Bewohnern hingeben - alleine oder mit freunden.

   Ich kann daher jedem, oder vielleicht doch besser nicht jedem empfehlen das bebende und pochende herzen Europas aufzusuchen - es packt einen, lässt einen nicht mehr los oder stößt einen komplett ab.

so das war’s! Schluss passt! ich denke das sollte reichen.

Ich hoffe wir sehen uns alle spätestens bei dem Auswahlseminar und wünsche dir alles Liebe und Gute!

 

 

Buenos Aires Fundación Memoria del Holocausto

Johannes Rumpfhuber

 

Hi Stefan...

 

hab noch immer kein I-net, aber mich plagt schon das schlechte Gewissen... hmmm....  also ein Bericht über meine Erfahrungen in BsAs....

 

"Meine Erfahrungen an der Fundacion Memoria del Holocausto und in der "wirklichen" Großstadt Buenos Aires sind so vielseitig, dass ich wahrscheinlich ein Buch über die dortigen Erfahrungen schreiben könnte.

 

Immerhin ist - auch wenn sich die Argentinier selbst gerne als die Europäer Lateinamerikas sehen - Buenos Aires eine Stadt in Lateinamerika; spätestens seit der wirtschaftlichen Krise 2001 ist das auch den Argentiniern bewusst.

 

Im Museum mangelt es seit dieser Zeit an allen Ecken und Enden an Geld, selbst um manchmal die eigenen Angestellten zu bezahlen, was unter den Arbeitskollegen oft Missmut zur Folge hat. Überhaupt ist der wirtschaftliche Druck der Angestellten so stark, dass es so gut wie keine Demokratie in den Betrieben (also auch an der Fundacion) geben muss - sie sind auf den noch so kleinen Lohn angewiesen und müssen sich viel gefallen lassen. Die, die nicht ins Konzept passen, werden ausgetauscht. Während meiner Zeit lernte ich 6 neue Arbeitskollegen kennen - in einem Betrieb mit rund 12 Angestellten, eine ganze Menge. Welch ein Glück zumindest nicht wirtschaftlich von einem solchen Betrieb abhängig sein zu müssen.

 

Die Arbeit selbst war hingegen abwechslungsreich und interessant. Angefangen von der Nachbearbeitung der Nationalfonds-Anträge, Antragstellung für österreichische Pensionen, Recherche und Mitarbeit in der Bibliothek, Kontaktpflege zu den österreichischen Emigranten, und sogar die Mithilfe bei der Organisation einer Ausstellung gestalteten meinen Arbeitsalltag kurzweilig und interessant.

 

Das Leben in der Grossstadt war auch eine prägende Erfahrung:

Klebstoffschnüffelnden Straßenkinder "wohnten" bei mir um die Ecke, die bekannt gewordenen Cartonneros durchwühlten meinen Müll und so mancher meiner Freunde wurde beim Heimweg um einige Pesos von dunklen Gestalten erleichtert. Nichtsdestotrotz ist Buenos Aires die Kulturhauptstadt Südamerikas, mit vielen Theatern, Kinos, Kulturzentren, Museen und schicken Bars.

 

Eine Welt der Gegensätze, die man besser als Kurzzeiteinheimischer kennenlernt, dafür aber die Möglichkeit bietet, viel über diese Welt zu lernen."

 

London London Jewish Cultural Centre

Dominik Aschauer

 

Lieber Stefan,

 

Entschuldige bitte meine verspätete antwort, ich hoffe es hat dein Projekt - das ich natürlich gerne unterstütze - nicht verzögert habe! Aber ich habe ja auch meinen Dienst erst letzte Woche beendet. Auch Gratulation zur Wahl in den vorstand.

 

Über meinen Eindruck des Dienstes kann ich dir sagen, dass ich im beruf begeistert war sowohl von der Effektivität mit der so ein kleiner Personalstab wie im London Jewish Cultural Centre es schafft unzählbare riesige Projekte durchzuführen (schildere jetzt nicht länger welche), als auch von der Leidenschaft mit der "unsere" Zeitzeugen des Holocaust ihre "Mission" der Schulgespräche verfolgen. ich muss auch sagen, dass ich mir nie gedacht hätte, dass manche alte Leute (z.T. schon weit über 80) so locker und "cool" sein können, erst recht, wenn sie so leiden mussten.

Und privat kann ich dir nur sagen, dass ich mich - trotz mancher Probleme - in London verliebt habe und ich es kaum erwarten kann dorthin zurückzukehren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf der ganzen Welt so eine multikulturelle Stadt gibt in der die Menschen derart offen sind!

 

Vielleicht kannst du mir das Ergebnis zukommen lassen - würde mich freuen.

Und ich hoffe wir können auch einmal Aug in Aug unsere Erfahrungen austauschen.

 

 

New York Leo Baeck Institute

Christian Lerch

 

Hallo Stefan,

 

so weit ich es noch in Erinnerung habe, hat sich mein Gedenkdienst am LBI dadurch ausgezeichnet, dass ich einerseits die Freiheit gehabt habe in der Austrian Heritage Collection, neue Perspektiven und Projekte, wie die Digitalisierung einzubringen und ich andererseits über die lebensgeschichtlichen Interviews in Kontakt kam mit sehr vielen jüdischen EmmigrantInnen, aus verschiedensten sozialen Schichten und somit auch der soziale Aspekt der Stelle, mich ausgefüllt hat. Ansonsten kann ich zu der Stadt selbst sagen: ich habe früh damit begonnen aufzuhören die Stadt als Ganzes kennenzulernen! Die Stadt ist zu schnell, unglaublich vielschichtig und zu spannend und so bleiben nur Teilaspekte von NYC nach einem 14monatigen Aufenthalt hängen, die jedoch sind äusserst intensiv und werden auch weiter in mir sein.

 

 

Tel Aviv Anita Mueller Cohen Elternheim

Gerald Krammel

 

Hallo Stefan!!

 

Beeindruckt war ich von der Aufnahme, die extrem freundlich war. Für die Bewohner ist es wirklich wichtig, dass jedes Jahr ein Gedenkdiener kommt, mit dem sie sich über Österreich und über die Geschehnisse der Vergangenheit unterhalten können.

Es haben sich einige tiefe Freundschaften entwickelt, die ich weiterhin pflege.

Das Altenheim war wie ein zweites Zuhause für mich, und durch die Einwohner, hatte ich nie das Gefühl einsam zu sein, bzw. hatte auch keinerlei Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung.

Ich durfte mit lebendiger Geschichte die Zeit verbringen und es war lehrreicher als jedes Geschichtsbuch.

Es waren lehrreiche und bereichernde 14 Monate und ich glaube ich konnte den Leuten eine schöne Zeit bereiten so wie sie mir eine schöne zeit bereitet haben.

 

Ich hätte an dich auch noch eine Bitte:

Es wird immer nur eine Gedenkdienstzeitung ans Altenheim geschickt und zwar ans Sekretariat, wo sie schlussendlich liegen bleibt.

Es wäre daher besser 4-5 Ausgaben ans Altenheim zu schicken, die an bestimmte Personen adressiert sind, und die sie dann untereinander tauschen.

Es wäre wirklich wichtig für die Leute persönlich angesprochen zu werden.

Dies sind ein paar Namen, welche unbedingt eine Zeitung erhalten sollten:

Hr. Avraham Kadima

Fr. Hull

Fr. Turbowitz.

Fr. Ben David

Fr. Raviv

 

Die Adresse hast du eh.

Ich wäre dir sehr verbunden, wenn dies möglich wäre.

Die Interviews die ich gemacht habe muss ich erst noch bearbeiten aber ich hoffe, dass es dann kein Problem sein wird sie in die GD-Zeitung zu geben.

Ach ja demnächst sollte ein Artikel über meine Arbeit in den österreichischen Nachrichten erscheinen.

 

Theresienstadt-Jugendbegegnungsstätte Theresienstadt

Adam Markus

 

Mein Dienst an der Gedenkstätte Theresienstadt war einerseits geprägt von Herzlichkeit und Freundschaft, andererseits blieben mir auch einige Probleme mit Gedenkdienst nicht erspart. Ich habe gelernt, dass Engagement für einen Anderen zwar Dank einbringt, aber wenn es darum geht dass man Hilfe braucht ist keiner da. Auch habe ich gemerkt, dass die welche oft die Demokratischsten sind wenn’s um eigene Interessen geht, ganz schnell über die Köpfe der Anderen entscheiden. Dieses Jahr werde ich nie vergessen und es hat mir für mein Leben viel gebracht.  - Adam

 

Vilnius Jüdisches Museum

Johannes Langer

 

Meine 14 Monate werden mein Leben mitprägen - sowohl was ich menschlich als auch inhaltlich lernen durfte. Es war eine unvergessliche Zeit und wenn ich mich nochmals entscheiden könnte, würde ich sofort wieder ja dazu sagen.

 

Viel Glück beim Verfassen!

LG, Joe

 


 

 

 

VII. Zurück nach Österreich

 

 

Wieder nach Wien zurückgekehrt sieht alles auf einmal so anders aus, so verändert. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf Dinge die ich zuvor nicht wahrgenommen habe und beim Beobachten der Menschen in der U-Bahn und auf den Straßen fällt mir eine ungewohnte Distanz auf. Was war passiert? Hat sich das Stadtbild in der Zwischenzeit so sehr verändert? Oder war ich es?

Ich war sehr glücklich wieder zu Hause zu sein, und doch empfand ich eine Veränderung die in mir Unbehagen auslöste, denn ich wusste nicht genau was es ist.

Das Essen, besonders das Brot schmeckte mir so gut wie nie zuvor und beim Spazieren blickte ich hinauf auf die Fassaden der schönen Bauten, wo die an mir vorbeispazierenden Leute ihre Blicke streng nach Vorn gerichtet hatten. Dann wurde mir erst bewusst, dass ich die Stadt von neuem für mich entdeckte. Ich war nämlich aus dem Alltag hier herausgetreten und, wie ein Hund der in die Wohnung des neunen Freundes von seinem Herrchen zum ersten Mal hinein tritt, musste ich nun auch alles von neuem beschnuppern. Seltsam, dass in etwas über einem Jahr, wo die Zeit in Washington doch so kurz erschien, sich doch offensichtlich so viel ereignet hat, dass ich wieder zu mir finden muss.

Ich setzte mich in das Starbucks Cafe an der Ecke Kärntner Straße und Walfischgasse. Gerade in diesem Kaffee, dessen Eröffnung für die traditionellen Wiener Gastronomen wie ein Nadelstich unter der Gürtellinie wirkte. Ich nahm mir einen großen Americano, obwohl ich in den USA nur Espresso bestellte, setzte mich in einem Sessel und fing an mit Tränen in den Augen zu lachen. Die vielen Bilder aus Eindrücken von meiner Gedenkdienstzeit liefen mir vor den Augen: die vielen Freunde, die Reisen, die Arbeit,..... wie konnte ich nur so viel in dieser Zeit erleben!

Es war eine große Erfahrung! Es war eine großartige Erfahrung! Es war eine Erfahrung fürs Leben!

 

 


Schlusswort

Von George Czuczka[29]

 

 

Die Leute sagen, es sei lästig, müßig, zu forschen und zu stöbern. Man solle das Alte, Verjährte endlich ruhen lassen. Und doch. Auf Dachböden, in Kellern steht und liegt es: verstecktes Sperrgut der verlorenen Zeit, Abgelagertes, das entrümpelt werden muss, ans Tageslicht soll. Müll, immer noch.

Geschichte schlägt Wurzeln, wie ein Baum. Was in die Rinde geschnitten wird, bleibt bestehen, auf lange Sicht. Geschichte zu leugnen, ad acta zu legen, ist Feigheit. Geschichte verlangt Stellungnahme, Scharfsicht, Urteilskraft. Sie muss gegenwärtig sein, nötigenfalls auch erlitten werden.

Denn: Es ist nun einmal das Los und die Aufgabe der Nachkommen, für die Sünden ihrer Vorfahren einzustehen. Auch wenn sie nicht dabei waren, als sie begangen wurden. Das Gesetz der Serie befiehlt es.

Gerade in der vermarkteten Welt von heute, in einer Zeit, die vor uns flieht wie ein gehetztes Tier, liegt es an den spät Geborenen, die Geschichte zu überprüfen, Familiengeheimnisse zu lüften, das Schweigen der Greise zu durchbrechen, die sich noch heute an Schlachten und Siege erinnern; nicht aber an Schimpf, Schande und böses Ende.

Soldaten wohnen auf den Kanonen. Friedfertigere Menschen leben anderswo und bedienen sich anderer Mittel, um ihren Mut zu beweisen. Wer sonst, wenn nicht die Nachgeborenen, Absolventen der hohen Schule der Menschen- und Bürgerrechte, vermögen reinen Herzens die Trägheit des Gewissens zu bezwingen.

In den Archiven lernen sie die Täter, Mitwisser und Mitläufer kennen; in persönlichen Gesprächen, die stetig schwindende Zahl der Überlebenden. Beim Vergleich der eigenen Überlieferung mit dem Schicksal fremder Menschen stoßen sie auf ungeahnte Zusammenhänge. Im Umgang mit Lebenden, Toten und lebenslänglich Traumatisierten lernen sie erneut Wert und Würde des Menschen schätzen.

Ihre Hände reichen durch den Zaun, den Draht und ergreifen die Hände derer, die längst den Weg in die Ewigkeit gegangen sind. Im Geiste sind sie bei den Namenlosen, Heimatlosen, die klanglos verschwanden: Kusine Stutthof, Vetter Birkenau. Tante Ravensbrück und Onkel Natzweiler. Großmutter Terezin. Familiengeschichten aus den letzten Tagen der Menschheit; zehntausende, allesamt einzigartig.

Die Wende ist spät gekommen, zu spät für die vielen, die sie gerne erlebt hätten. Die Erinnerung, von Natur aus sprunghaft und widerspenstig, hat sich einen Weg gebahnt. Auch wenn ihre Lagerfähigkeit begrenzt ist, der Alltag sie vernutzt und neue Erinnerungen sie durchkreuzen und verdrängen - sie ließ sich nicht länger abweisen.

Wenn lichte Augenblicke dieser Art sich auftun, wenn geistige Potenz, politische Macht und Gemeinsinn miteinander übereinstimmen, dann entsteht das ideale Klima für den Versuch, aufs Ganze zu gehen.

Die Wende selbst war jedoch kein Schlussstrich, sondern erst ein Anfang; die vielleicht einmalige Gelegenheit, die Geschichte beim Schopf zu packen und Gedenkdienst war die logische Folge zur rechten Zeit. Ein Faden der Ariadne, der Gegenwart und Zukunft davor bewahrt, zu vergessen, wie es kam, wie es war und da und dort noch heute ist.

Die neue, dritte Generation ist sich wohl bewusst, dass Gedenkdienst jeglicher Art ureigenste Bürgerpflicht ist; ein Auftrag, der weit über den Holocaust hinausreicht und nicht verjährt.

Sie hat auch erkannt, dass eine neue Gesinnung nottut, die von keiner Ideologie erschüttert werden kann; eine neue Ethik der Treue zu sich selbst und zum Nächsten, diesseits und jenseits aller Grenzen und Schranken. Eine neue Ökologie, die nicht nur gefährdete Tierarten und zarte Pflanzen beschützt, sondern einen Schutzwall um die Ausgegrenzten und Verfolgten zieht und sich ihrer Sache annimmt.

Wenn sie mit Leib und Seele bei der Sache sind, können selbst wenige Aktivisten den Anstoß geben. Keine großen Wunder vollbringen; bestimmt nicht im Alleingang. Aber gemeinsam mit Anderen Türen öffnen, aus den Angeln heben, Uhren richtig stellen, veraltetes Vokabular auffrischen und so der Allgemeinheit helfen, das andere Ufer der Geschichte zu erreichen.

Die neue Ethik, gewachsen durch die Arbeit vieler quer durch die Institutionen, ruft sie auf, das Erworbene weiterzugeben, so dass die Morgigen und die Ungeborenen, von Schuld und Sühne befreit, unter günstigeren Sternen leben sollen, als sie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Stoev war auserwählter Gedenkdienstleistender am Holocaust Memorial Museum in Washington 2004/2005. Außerhalb seiner Forschungstätigkeit am Museum pflegte er intensiven Kontakt zu deutschsprachige Vertriebene aus der Nazi Zeit. Soziales Engagement ist für Stefan Stoev ein Anliegen von größter Bedeutung, dass er in seinen alltäglichen Aufgaben selbst mehrseitig einbringt und unterstützt.

 

 



[1] Christoph Meran – Direktor des Österreichischen Presse- und Informationsdienstes Österreichische Botschaft Washington

 

[2] Gedenkdienst-Historie am USHMM: 1993/94 Anton Legerer; 1994/95 Thomas Ortner; 1995/96 Johannes Ungar; 1996/97 Helmut Prochart; 1998/99 Thomas Huber; 1999/00 Roman Kopetzky; 2000/01 Harald Schindler; 2001/02 Roland Engel; 2002/03 Paul Schiefer; 2003/04 Christoph Köttl; 2004/05 Stefan Stoev

[3] Pesach – Pessach (hebräisch), Pascha (aramäisch, gesprochen Pas|cha) oder Passover (im Englischen gennant) gehört zu den höchsten Festen des Judentums. Es erinnert an den Auszug aus Ägypten, also an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei, mit der sie als eigenes Volk in die Geschichte eintraten. Für gläubige Juden bedeutet dieses Ereignis zugleich die bleibende Erwählung des Judentums zum „Volk Gottes".

Das Pessachfest war traditionell mit Schawuot und Sukkot eins der drei traditionellen israelitischen Wallfahrtsfeste, an denen die Gläubigen nach Jerusalem zum Tempel auf dem Zionsberg pilgerten und dort das Passalamm opferten (Ex 12,3-11). Es wurde aber schon vor der endgültigen Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n. Chr. als Hausfest im Kreis der ganzen Familie gefeiert.

Das hebräische Wort pessach bedeutet wörtlich „vorüberschreiten", „verschonen".

Der Name spielt auf einen dramaturgischen Höhepunkt der biblischen Exodusüberlieferung (Ex 1-15) an: die Erzählung vom Todesengel JHWHs, der in der Nacht des Auszugs alle ägyptischen männlichen Erstgeborenen tötete und nur die Hebräer verschonte, die die Türen ihrer Unterkünfte mit dem Blut des Pessachlammes gekennzeichnet hatten (Ex 12). Diese letzte und schlimmste der zehn Plagen soll den Pharao schließlich dazu bewegt haben, die Israeliten ziehen zu lassen. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pesah)

[4] Der Autor leistete seinen Gedenkdienst 2002/2003 am Anne Frank Zentrum Berlin. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der WU Wien und ist seit März 2004 Obmann des Vereins GEDENKDIENST.

[5] So der von Josef Teichmann gewählte Begriff in seinem gleichnamigen Artikel für das Buch „Jenseits des Schlussstrichs“, das anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Vereins Gedenkdienst im Löcker Verlag erschienen ist, 2002, 81.

[6] Niko Wahl, Clubsessel für alle, in: Vom Großvater vertreiben vom Enkel erforscht? Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, 2002, 16.

[7] Im Rahmen unsere Studienfahrt nach Kärnten auf den Spuren des antifaschistischen Widerstands der Partisanen und den Wurzeln des Volksgruppenkonflikts, sowie unserer Veranstaltungsreihe Ge-denken anlässlich der Präsentation zweier Filme: Artikel 7 – Unser Recht! Von Thomas Korschil und Eva Simmler, www.artikel7.at; FAQ, von Stefan Hafner und Alexander Binder.

[8] USHMM – United States Holocaust Memorial Museum

[9] Stand 16.06.2005

[10] Der berühmte Schauspieler und Regisseur Kurt Geron flüchtete vor den Nazis aus Berlin nach Österreich und weiter über Frankreich nach Holland wo ihn diese schließlich erwischten. Er wurde ins Ghetto Theresienstadt deportiert, dort drehte er „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Geron wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz verschickt und ermordet.

[11] CAHS – Center for Advanced Holocaust Studies

[12] Vadim Altskan – Projekt Koordinator am IAPD das USHMM.

[13] Jürgen Matthäus ist Senior Applied Research Scholar am Center for Advanced Holocaust Studies. Die hier vorgetragenen Ansichten sind die des Verfassers und spiegeln nicht die Meinung des USHMM.

[14] Dirk Rupnow, Dr. phil., Historiker und Kulturwissenschaftler in Wien, forschte 2004 als Fellow am Center for Advanced Holocaust Studies des US Holocaust Memorial Museum. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: Aporien des Gedenkens. Historiographische Selbst-/Reflexionen über „Holocaust“ und Erinnerung, Freiburg 2006; Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer Gedächtnispolitik, Göttingen 2005; (mit Gabriele Anderl) Die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ als Beraubungsinstitution, München 2004; Täter-Gedächtnis-Opfer. Das „Jüdische Zentralmuseum“ in Prag 1942–1945, Wien 2000. Daneben Aufsätze u.a. in „Holocaust and Genocide Studies“, „Zeitgeschichte“, „Theresienstädter Studien und Dokumente“, „Modern Austrian Literature“, „European Judaism“, „Dapim“.

[15] Voice of America (VOA) – Beitrag von Zlatica Hoke ,Washington, 10. Februar 2005

http://www.voanews.com/mediaassets/english/2005_02/Audio/mp3/8-614_Focus_Hoke_Austria.mp3

[16] Der Beitrag wurde vom Gedenkdienstleistenden am USHMM 05/06 Christian Url verfasst.

[17] Beitrag von Christian Url

[18] Dieser Artikel wunder in der Zeitung Gedenkdiest (No. 2/2005) und in den Jewish News from Austria (#13 – Dezember 2005) publiziert.

[19] Beitrag von Christian Url

[20] Dieser Artikel ist in der Zeitung Gedenkdiest (No. 3/2005) veröffentlicht worden.

[21] Als Mazzen (Matzah, Mazzoth, Matze(n)) werden koschere, flache, ungesäuerte Brotfladen der jüdischen Küche bezeichnet, die aus Wasser und einer der fünf Getreidesorten - Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel - gebacken werden. Um koscher für Pessach zu sein, unterliegt die Herstellung der Matzen strenger rabbinischer Aufsicht. Jeder verfrühte Kontakt des geernteten Getreides oder des Mehls mit Wasser oder einem anderen Säuerungsmittel muss vermieden werden. Der Backprozess, vom Mischen des Mehls mit Wasser bis zum fertig gebackenen Matze darf nicht länger als 18 Minuten dauern.

Matzen werden in der Pessach-Woche von Juden zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten verspeist. Weil, so wird tradiert, beim Aufbruch keine Zeit blieb, den Teig für die Brote gehen zu lassen.

Da während der Pessach-Woche weder gesäuertes Brot noch irgendetwas, das gehen könnte (also Pasta, Mehl, bei den Aschkenasim auch Hülsenfrüchte und Reis) verspeist werden darf, werden aus Matzen oder Matzenmehl auch Kuchen, Aufläufe und ähnliches gebacken. Orthodoxe Juden legen das Gebot des Verzichts auf "getriebenes" Brot so streng aus, dass während des Pessachfestes kein Geschirr verwendet werden darf, das je mit einem mit Treibmittel hergestelltem Brot in Berührung gekommen ist. In vielen orthodoxen Haushalten gibt es daher ein spezielles Pessachfest-Geschirr, bescheidenere Haushalte behelfen sich, indem alle Töpfe, Teller und Bestecke durch langes Auskochen rituell gereinigt werden.

Das Gebot Matze zu essen besteht allerdings nur für den Seder-Abend (für den Rest der Woche gilt nur: kein Chametz, also nichts Gesäuertes essen) Am Seder-Abend gehören drei besondere Matze - üblicherweise handgebacken und dicker als gewöhnliche Matzen - auf den Tisch: die oberste Matze symbolisiert die Cohen (die Tempel-Priester), die mittlere die Levi (die Tempel-Diener) und die unterste schließlich Jisrael, das Volk der Juden. Jeder dieser drei Matze-Fladen ist von den anderen durch ein Tuch getrennt. Während des Seder-Abends werden sie symbolisch eingesetzt. Jedem Juden ist es geboten, ein Stückchen dieser Matze zu verzehren. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Mazza)

[22] Kibbuz – oder auch Kibbutz geschrieben (Plural: kibbutzim). Als Kibbuzim (קיבוצים) (pl.) bezeichnet man ländliche Kollektivsiedlungen in Israel mit gemeinsamem Eigentum und basisdemokratischen Strukturen. Es gibt etwa 270 dieser Dörfer mit einer Größe von bis zu 1.000 Einwohnern. Zu Neugründungen kommt es heute kaum mehr. Zur Zeit der Gründung des Staates Israel lebte etwa jeder zwölfte Israeli in einem Kibbuz; heute sind es knapp drei Prozent der Bevölkerung. Es gab zwar auch Abwanderung, besonders der Jugend, die aber durch Zuwanderung beispielsweise aus den USA aufgefangen werden konnte. Weitere landwirtschaftliche Siedlungsformen sind die zahlreicheren (etwa 400) Moschawim, die genossenschaftlich organisiert sind, sowie Mischformen aus Kibbuz und Moschaw. Eine weitere Form sind schließlich die (deutlich weniger als 100) Moschawot, die mit europäischen Dörfern vergleichbar sind. Die Mitglieder eines Kibbuz bezeichnet man als Chawerim (Einzahl Chawer) oder auch als Kibbuznik. Im Zusammenhang mit den Kibbuzim werden häufig die Begriffe Kommunismus oder Sozialismus verwendet. Diese Lehren dürfen dabei aber nicht mit dem Realsozialismus des ehemaligen Ostblocks gleichgesetzt werden. So können die Kibbuzim durchaus mit Sozialismus im ursprünglichen Sinn in Verbindung gebracht werden – während vergleichbare Organisationsformen in den realsozialistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks oft nicht mehr auf Freiwilligkeit basierten.

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kibbuz)

[23]

Division

Konzentrationslager

Datum

1-ste Infanterie

Falkenau an der Eger

(Nebenlager von Flossenbürg)

7. Mai 1945

2-te Infanterie

Leipzig-Schönfeld (Nebenlager von Buchenwald)

Spergau (Lernarbeitslager)

17. April 1945

4-te Infanterie

Dachau Nebenlager

28-29. April 1945

8-te Infanterie

Wöbbelin (Nebenlager von Neuengamme)

3. Mai 1945

26-ste Infanterie

Gusen (Nebenlager von Mauthausen)

6. Mai 1945

29-ste Infanterie

Dinslaken (Zivilarbeitslager)

3. April 1945

36-ste Infanterie

Kaufering Lager (Nebenlager von Dachau)

30. April 1945

42-ste Infanterie

Dachau

29. April 1945

45-ste Infanterie

Dachau

29. April 1945

63-ste Infanterie

Kaufering Lager (Nebenlager von Dachau)

29-30. April 1945

65-ste Infanterie

Nebenlager von Flossenbürg

20-21. April 1945

69-ste Infanterie

Leipzig-Thekla

(Nebenlager von Buchenwald)

19. April 1945

71-ste Infanterie

Gunskirchen

(Nebenlager von Mauthausen)

5-6. Mai 1945

80-ste Infanterie

Buchenwald

Ebensee

(Nebenlager von Mauthausen)

12. April 1945

4-5. Mai 1945

83-ste Infanterie

Langenstein

11. April 1945

84-ste Infanterie

Ahlem

Salzwedel

(Nebenlager von Neuengamme)

10. April 1945

14. April 1945

86-ste Infanterie

Attendorn

11. April 1945

89-ste Infanterie

Ohrdruf (Nebenlager von Buchenwald)

4. April 1945

90-ste Infanterie

Flossenbürg

23. April 1945

95-ste Infanterie

Werl (Gefängnis und Arbeitslager)

2-8. April 1945

99-ste Infanterie

Nebenlager von Dachau

3-4. Mai 1945

103-te Infanterie

Landsberg (Nebenlager von Dachau)

27. April 1945

104-te Infanterie

Dora-Mittelbau

11. April 1945

3-te Panzer

Dora-Mittelbau

11. April 1945

4-te Panzer

Ohrdruf (Nebenlager von Buchenwald)

4. April 1945

6-te Panzer

Buchenwald

11. April 1945

8-te Panzer

Halberstadt-Zwieberge

(Nebenlager von Buchenwald)

12-17. April 1945

9-te Panzer

Falkenau an der Eger

(Nebenlager von Flossenbürg)

7. Mai 1945

10-te Panzer

Landsberg (Nebenlager von Dachau)

27. April 1945

11-te Panzer

Gusen (Nebenlager von Mauthausen)

Mauthausen

5. Mai 1945

6. Mai 1945

12-te Panzer

Landsberg (Nebenlager von Dachau)

27. April 1945

14-te Panzer

Nebenlager von Dachau

2-3. Mai 1945

20-ste Panzer

Dachau

29. April 1945

82-ste Luftwaffe

Wöbbelin (Nebenlager von Neuengamme)

3. Mai 1945

101-ste Luftwaffe

Landsberg (Nebenlager von Dachau)

28. April 1945

 

[24] Wahlkandidaten: George W. Bush-Republikanische Partei-Texas; John F. Kerry -Demokratische Partei-Massachusetts; John R. Edwards-Demokratische Partei-North Carolina;Ralph Nader-Unabhängig, Reformß-Connecticut; Michael Badnarik-Freicheitliche Partei-Texas; Michael Peroutka-Konstitutions Partei-Maryland; David Cobb-Grüne Partei-Kalifornien

[25] Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/U.S._presidential_election,_2004

[26] Gedendienstleistender am USHMM 2003/2004

[27] Gedenkdienstleistender am USHMM 2001/2002

[28] Anton Legerer, Psychologe, Historiker, Publizist in Wien. Gedenkdienstleistender 1993/94 in der Forschungsabteilung des U.S. Holocaust Memorial Museums in Washington, D.C.

 

[29] George Czuczka, ein gebürtiger Wiener, wanderte 1939 als Gymnasiast mit seinen Eltern nach Amerika aus. Im zweiten Weltkrieg diente er in der U.S. Armee und trat nach vollendetem Studium in den diplomatischen Dienst ein, war in Europa und Asien tätig, u.a. als Presseattaché an der amerikanischen Botschaft in Wien.

Er lebt seit Jahren in Washington und ist Autor einer Sammlung sozialwissenschaftlicher Texte von Papst Johannes Paul II und einer Studie über die Bedeutung der Psychologie von C. G. Jung für die Politik.